Land will Bauern trotz geringerer EU-Zuschüsse fördern

18.07.2018 
Von: Wolf Günthner
 
Redaktion
 

Stuttgart. Trotz der von der EU-Kommission von 2021 an geplanten geringeren Mittel für die Landwirtschaft wollen die Landesregierung und die im Landtag vertretenden Parteien die Agrarbetriebe im Südwesten wie bisher fördern. Nach den Vorstellungen des zuständigen EU-Kommissars Phil Hogan sollen wegen des Brexits die EU-Mittel für Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland von derzeit 44,1 Milliarden Euro im Zeitraum von 2021 bis 2027 auf 41 Milliarden Euro gekürzt werden. Der Großteil, berechnet nach der Fläche des Betriebs – im Schnitt 280 Euro je Hektar -, geht als Direktzahlung an die Bauern, die zweite Säule fördert die Entwicklung des ländlichen Raums sowie Maßnahmen der Agrarumwelt wie Ökologie, Umwelt-, Klima- und Tierschutz.

Von den 600 Millionen Euro, die Baden-Württemberg derzeit jährlich von der EU bekommt, könnten künftig 180 Millionen Euro von der ersten in die zweiten Säule umgeschichtet werden, erklärte Agrarminister Peter Hauk (CDU) am Mittwoch in der von den Grünen beantragten aktuellen Debatte „Für eine nachhaltige und zielorientierte Gemeinsame Agrarpolitik – im Interesse von bäuerlicher Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz in Baden-Württemberg“.

Hauk hätte auch nichts dagegen, wenn Deutschland, wie Irland, eine Deckelung der Flächenzuschüsse vornehmen würde. „Für Baden-Württemberg wäre dies kein Problem.“ Aber der Bund habe dies nicht gewollt. Der Minister sprach sich im Zuge der nächsten Förderperiode „für eine klare Entflechtung“ von erster und zweiter Säule aus. Um die Betriebe zu stärken, müsse man zu einem Konsens bei der Umschichtung der Mittel zwischen erster und zweiter Säule kommen.

Zweite Säule wichtig für Zukunft der Agrarpolitik

EU-Kommissar Hogar habe die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik deutlich erweitert, sagte Martin Hahn (Grüne). Positiv sei die Ausweitung von Ernährungssicherung und Einkommenssicherung der Bauern um sieben weitere Programmpunkte, darunter Schutz der biologischen Artenvielfalt, Klimaschutz und die Unterstützung benachteiligter Gebiete. Kritisch sieht Hahn die Abschmelzung der zweiten Säule um bis zu 28 Prozent. Dies sei für Baden-Württemberg „ein fatales Signal“, denn über diese zweite Säule seien Blühstreifen oder Sinnbilder für Ökologie finanziert worden. Die erste Säule sichere das Einkommen der Landwirte, die zweite alles, was für die Zukunft der Agrarpolitik wichtig sei. „Es muss ein großes Ziel von uns allen sein, eine Abschmelzung der zweiten Säule zu verhindern“, sagte Hahn. 20 bis 25 Millionen Euro würden dort künftig fehlen.

Die CDU bekennt sich nach den Worten von Patrick Rapp zur „bisherigen erfolgreichen Grundstruktur“ der aus zwei Säulen bestehenden Gemeinsamen Agrarpolitik. Dieses Modell könne die Grundfeste in der landwirtschaftlichen Politik, Förderung und Finanzierung abdecken. Deshalb „werden die Kürzungen von uns scharf kritisiert“, sagte Rapp. Positiv sieht er die Ankündigung von Hogan, Bürokratie zurückzunehmen, die bei Landwirten in der Fläche zu Vereinfachungen und Entlastungen führten. Ziel müsse sein, die bewährten und kleinen Strukturen im Land zu erhalten, keine industrialisierte Landwirtschaft aufkommen zu lassen und Baden-Württembergs Markenzeichen, die bäuerlichen Betriebe, in die Zukunft zu führen, mit sinnvoller Nutzung von Innovationen und digitaler Technologien. Auch Umwelt-, Tierschutz- und Klimaziele müssten ausgewogen gewährleistet sein. Durch die Kürzungen seien viele Zielsetzungen gefährdet. Konventionelle und ökologische Landwirtschaft müssten künftig stärker zusammenwachsen und dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Kritik an Agrarpolitik

Udo Stein (AfD) kritisierte die bisherige Verteilung der Gelder auf Flächenbasis: 3200 Betriebe (1 Prozent) wurden 669 Millionen Euro von insgesamt drei Milliarden Euro bekommen, 32 000 (10 Prozent) rund 55 Prozent der Mittel. Dies sei ungerecht und ein „verteilungspolitischer Skandal“. Die Bankrotterklärung dieser Agrarpolitik bestehe darin, dass in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren 70 Prozent der Bauern aufgeben mussten. Bei den Milchviehbetrieben hätten in 14 Jahren 60 Prozent aufgehört. Stein warf CDU und Grünen vor, „von Regionalisierung zu reden, aber am gemeinsamen Markt und an der Zentralbürokratie in Brüssel festzuhalten“.  

Auch Georg Nelius (SPD) kritisierte die Regierungsfraktionen. Die CDU mache eine Agrarpolitik nach dem Motto „Weiter so“, der grüne Koalitionspartner male in schönen Debatten die ökologische und tiergerechte Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik an die Wand. Die dringende Notwendigkeit, in der Agrarpolitik kraftvoll umzusteuern, komme im Land nicht an. Verbraucherschutz werde immer noch zu klein geschrieben, Tierschutz gebe es nur so viel, wie durch Skandale und EU-Vorgaben unumgänglich sei. Umweltgerechte Landwirtschaft heiße bei Minister Hauk, dass man weder weniger Düngemittel noch weniger Pestizide einsetze. Tier- und Lebensmittelskandale wie auch Umweltprobleme hätten zu einer tiefen Vertrauenskrise zwischen Landwirte und Verbrauchern geführt. Es gebe eine ökonomische und ökologische Misere in der Landwirtschaft, stellte Nelius fest. Er forderte mehr öffentliches Geld für gemeinwohlorientierte Leistungen und weniger aus der Gießkanne für Grundbesitz. Das derzeitige Subventionssystem habe sich überlebt.

Friedrich Bullinger (FDP) wies darauf hin, dass viele Leistungen wie die Vielfalt der Landwirtschaft, die Ernährungssicherheit, die Kulturlandschaft und die Biodiversität an der Ladentheke „nach wie vor nicht bezahlt“ werden. Deshalb sei weiterhin eine erste und zweite Säule in der Agrarpolitik notwendig. Die größeren Betriebe dürften „nicht zu früh“ gekappt werden; durch niedrigere Direktzahlungen seien sie sonst nicht mehr lebensfähig. Bullinger warnte davor, durch mehr Verbote noch mehr Gängelung zu schaffen. Produktionsbedingungen müssten so sein, dass die Landwirte damit auch Einkommen erwirtschaften können. Mit der aktuellen Agrarpolitik sei „eigentlich niemand richtig zufrieden“.


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