Stuttgart. Im Jahr 2015 hat der Landtag parteiübergreifend die Hürden für die Bürgerbeteiligung gesenkt. Seitdem hat sich nach Angaben des Vereins „Mehr Demokratie“ die Zahl der Bürgerentscheide erhöht, auf durchschnittlich 24,8 pro Jahr. Unter der alten Gesetzeslage waren es 14,4. Ein Volksbegehren gab es seit der Reform jedoch in Baden-Württemberg nicht. Ein Volksbegehren der Südwest-SPD zu gebührenfreien Kitas wurde vom Innenministerium als nicht verfassungskonform gestoppt. Nun muss der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg entscheiden.
Das nahm die SPD-Fraktion nun zum Anlass für eine aktuelle Debatte im Landtag mit dem Titel: „Grün-Schwarze Landesregierung: Endstation direkte Demokratie“.
„Die Nachricht über den Tod der direkten Demokratie ist übertrieben“, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU) in Anlehnung an Mark Twain über den Titel der Debatte. Man habe sich bei der Prüfung über die Zulässigkeit des Volksbegehrens lediglich an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gehalten. Dies werde auch durch ein Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Ferdinand Kirchhof gestützt. Strobl verwies auf Artikel 59 der Landesverfassung, in dem es heißt: Über Abgabengesetze, Besoldungsgesetze und das Staatshaushaltsgesetz findet kein Volksbegehren statt.
Denn die Kosten für beitragsfreie Kitas würden sich nach Angaben der SPD auf jährlich rund 529 Millionen Euro belaufen. Der Gemeindetag geht von einer höheren Summe aus. Strobl verwies ebenso wie Arnulf Freiherr von Eyb (CDU) auf die Etathoheit des Landtags. Von Eyb sagte, dass mehrere Volksbegehren mit solchen finanziellen Auswirkungen „einer Selbsterwürgung des Landtags“ gleichkämen.
Auch Nese Erikli (Grüne) sieht die direkte Demokratie nicht in Gefahr angesichts der Steigerung bei den Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene. Der SPD-Antrag werde nun vom Verfassungsgerichtshof geprüft. Das sei ein normales Vorgehen in einem Rechtsstaat. Nach dem Urteil müsse unter Umständen geprüft werden, ob Änderungen notwendig seien. Der SPD warf sie vor, die Debatte sei ein reines Wahlkampfmanöver.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch hingegen kann der Argumentation von Innenminister und Regierungsfraktionen nicht folgen. Würden alle finanziellen Auswirkungen dazu führen, dass Volksbegehren nicht zulässig wären, wäre kein Raum mehr für Volksabstimmungen, so Stoch. Er war auch der Ansicht, dass das bei der Gesetzesänderung 2015 nicht intendiert war. Den Grünen warf er vor, ihre Grundsätze zu verraten.
„Wer erst eine neue Kultur der Mitbestimmung ausruft und dann ohne Not die Initiative der Bürger so gegen die Wand laufen lässt, braucht sich über steigenden Politikfrust nicht zu wundern“, hatte die Landesgeschäftsführerin des Vereins Mehr Demokratie Sarah Händel kürzlich bei einer Bilanz zur direkten Demokratie gesagt.
„Wir würden das Volksbegehren inhaltlich zwar nicht unterschreiben, aber wir würden es zulassen“, sagte Ulrich Goll (FDP). Aus Sicht des ehemaligen Justizministers steht die Entscheidung des Innenministeriums auf „wackligen Füßen“. „Das Ergebnis befindet sich einer maximalen Distanz zu einem klugen Ergebnis“, so Goll. Er wie auch Stoch verwiesen auch auf den – damals von der Landesregierung initiierten – Entscheid zu Stuttgart 21. Auch in diesem Fall sei es um viel Geld gegangen, nämlich um mehrere Milliarden Euro. „Wenn die Regierung nicht zufällig dahinter steht, darf es offensichtlich keine finanziellen Auswirkungen geben“, so Stoch.
Für Daniel Rottmann (AfD) ist der der Debatte zugrundeliegende Antrag der SPD „ein stummer Schrei nach Liebe“. Auch wies er darauf hin, dass die SPD die Gebührenfreiheit bei der Kinderbetreuung während ihrer Regierungszeit nicht umgesetzt hatte.