Nach Krawallnacht in Stuttgart: Abgeordnete wollen mehr Personal für Justiz

30.06.2021 
Redaktion
 

STUTTGART. In einer von der CDU beantragten aktuellen Debatte haben die Abgeordneten im Landtag an diesem Mittwoch über die juristische Aufarbeitung der Krawallnacht in Stuttgart vor einem Jahr debattiert. Justiz und Polizei wurden gelobt, es brauche aber mit Blick auf aktuelle Ereignisse neben mehr Personal auch einen präventiven Ansatz.

Thomas Blenke (CDU) dankte den Einsatzkräften. Die Bilder der Krawallnacht im Kopf, verneige man sich vor Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften, die in solchen Situationen nicht aufgeben, sondern weitermachten, ihre Arbeit machten. Der Polizei sei es durch akribische Kleinstarbeit, die bis heute andauere, gelungen, Täter zu ermitteln. Dass junge Menschen das Bedürfnis haben, sich zu treffen und zu feiern, sei verständlich und in Ordnung, so Blenke. „Aber Party machen heißt nicht Krawall machen.“ Der Rechtstaat müsse letzteren „mit aller Härte entgegen treten“. Das dürfe sich so nicht wiederholen.

Gegen 150 Tatverdächtige laufen Ermittlungsverfahren

Und so hätten die Erfolge der Sonderermittlungsgruppe von Polizei und Justiz „abschreckende Wirkung“. Gegen 150 Tatverdächtige liefen Ermittlungsverfahren, es gebe bereits 83 Urteile in erster Instanz, zehn bereits in zweiter Instanz. „Auf unsere Justiz ist Verlass“, so Blenke. Es seien 100 Jahre Haftstrafen verhängt worden, 40 ohne Bewährung. 65 Personen seien rechtskräftig verurteilt. Der Staat müsse eine Sprache sprechen, die diese Herrschaften verstehen.

Dafür braucht die Justiz ausreichend Personal. Blenke, und später auch Justizministerin Marion Gentges (CDU), verwiesen auf die 1000 Stellen, die in der vergangenen Legislaturperiode hinzugekommen seien. Auch sollen die Häuser des Jugendrechts weiter ausgebaut werden, um jugendliche Straftäter in den Griff zu bekommen, sagte Blenke. Zudem sollen ihm zufolge Volljährige nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden.

Innenstädte seien Orte der friedlichen Begegnung, an den sich die gesamte Bevölkerung wohlfühlen soll. Das müssen laut Blenke auch Kommunen mit sicherstellen.

Für die Grünen hielt die Abgeordnete Daniela Evers ihre erste Rede im Landtag. Ihr zufolge hat die Krawallnacht „viele Wunden unserer Gesellschaft offengelegt“. Auch sie dankte den Einsatzkräften: „Uns ist sehr bewusst, wie komplex und belastend solche Einsätze sind.“ Gewalttaten gegen Einsatzkräfte seien „inakzeptabel und durch nichts zu entschuldigen“.

„Jugendstrafe muss inhaltlich weiterentwickelt werden“

Die Ermittlungsbehörden und Gerichte hätten diese Nacht schnell aufgearbeitet, seien immer noch dabei. „Aus juristischer Sicht eine gute Nachricht.“ Die erzieherische Wirkung sei ein wichtiger Teil, daher sei es gerade im Jugendstrafrecht wichtig, dass Gerichtsverfahren schnell erfolgten.

Aber Jugendstrafe und Strafvollzug müssten insgesamt auch inhaltlich weiterentwickelt werden. Haftvermeidung bei gleichzeitiger guter sozialpädagogischer und erzieherischer Begleitung ist vorrangig. Problemlagen wie Sucht und psychische Auffälligkeiten müssten durch ambulante Angebote aufgefangen werden. „Wenn die Haft nicht vermieden werden kann, so ist unsere Verantwortung als Land, den Jugendvollzug und den Vollzug so auszustatten und auszugestalten, dass er seiner Aufgabe nachkommen kann.“ Im Koalitionsvertrag habe man sich dazu viel vorgenommen. So sollen etwa offene Vollzugsformen ausgebaut werden.

Laut Boris Weirauch (SPD) haben Straftäter die gesamte Palette des baden-württembergischen Rechtsstaats zu spüren bekommen. „Und das ist auch gut so.“ Die Urteile seien ein klares Signal: „Der öffentliche Raum ist kein rechtsfreier Raum. Die konsequente strafrechtliche Ahndung ist ein Beleg dafür, dass der Rechtsstaat funktioniert.“ Doch: Die gesellschaftlichen Konflikte würden schärfer und oft an der Schwelle zur Strafbarkeit geführt oder in Teilen sogar darüber hinaus. „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir vor der großen Herausforderung stehen, unseren demokratischen Rechtsstaat widerstandsfähiger zu machen.“

SPD will mehr Personal für Polizei und Gerichte

Für die SPD-Fraktion sind daher laut Weirauch vier Aspekte besonders wichtig. Das Gesetz des Bundes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität müsse mit Leben gefüllt werden. Das bedeutet insbesondere auch eine personelle Stärkung der Staatsanwaltschaften und der Polizei. Zudem müssten es neben Personalstellen für Richter und Staatsanwälte auch mehr Stellen für den nachgeordneten Bereich in den Gerichten. Es bringe nichts, wenn Urteile gesprochen werden, die Geschäftsstellen in den Gerichten diese Urteile aber wegen personeller Unterbesetzung gar nicht ausfertigen können.  Außerdem müssten beschleunigten Verfahren ausgebaut werden, dasselbe gelte für die Häuser des Jugendrechts.

Auch Nico Weinmann (FDP) wies daraufhin, dass der Rechtsstaat nicht alle gesellschaftlichen Defizite korrigieren könne. Es gebe eine zunehmende Verrohung, Rücksichtlosigkeit, Vermüllung. „Wir müssen aufpassen, dass die Situation nicht kippt“, sagte er. Ihm zufolge mangele es in der Justiz an Servicekräften, was dazu führe, dass Richter und Staatsanwälte, die zusätzlich eingestellt wurden, öfter deren Aufgaben erledigen müssten. Würden von 100 Jahren Haftstrafen gesprochen, müsste man auch einen Blick auf die Justizvollzugsanstalten werfen. Die hätten im Ländervergleich nach wie vor die knappste Personalausstattung. Zugleich aber steige, so Weinmann weiter die Zahl schwer integrierbarer, leistungseingeschränkter, zunehmend gewaltbereiter und psychisch auffälliger Gefangener.

65 Personen rechtskräftig verurteilt

Daniel Lindenschmid (AfD) verwies in seiner ersten Landtagsrede darauf, dass von diesen 100 Jahren Haft, zu denen die beteiligten Personen bisher insgesamt verurteilt wurden, 40 Jahre auf Bewährung erlassen worden seien. „Anders formuliert: Ihre sagenhaften 100 Jahre Freiheitsstrafen sind bei Lichte betrachtet gerade einmal 60.“

Justizministerin Marion Gentges (CDU) lobte dagegen, dass bereits 65 Personen rechtskräftig verurteilt worden sind. Die hohe Anzahl der abgeschlossenen Verfahren belege eindrucksvoll, wie schnell Justiz und Polizei ermittelt hätten. Die Strafe folge auf den Fuß, „bei uns gibt es keine rechtsfreien Räume“. Strafverfolgung gehe nur mit ausreichend Personal. Die Politik müsse daher „verlässlicher Partner für Justiz und Polizei sein“.


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Titelbild Staatsanzeiger