Stuttgart. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat die von der grün-schwarzen Landesregierung beschlossenen Fahrverbote bei Feinstaub-Belastungen in Stuttgart verteidigt. Jahrelang habe er um Freiwilligkeit geworben, bei Feinstaubalarm in der Landeshauptstadt auf die Benutzung des Autos zu verzichten, erklärte er am Mittwoch im Landtag in einer von der AfD-Fraktion beantragten aktuellen Debatte.
Fakt sei, dass es eine Grenzwert-Überschreitung gebe, denn schon Ende Februar seien an 32 von zulässigen 35 Tagen die Feinstaub-Grenzwerte überschritten worden. „Deshalb mussten wir handeln“, rechtfertigte Hermann die vom Kabinett beschlossenen Fahrverbote, die von 2018 an für ältere Diesel-Fahrzeuge ohne Euro-6-Norm gelten.
Kritik der AfD, die von „grün-schwarzer Panikpolitik zum Schaden der Dieselfahrzeughalter und der baden-württembergischen Automobilindustrie“ sprach, und der anderen Oppositionsfraktionen wies der Verkehrsminister zurück. „Sie haben mehr den Diesel im Kopf als den Menschen. Die SPD denkt nur an den Diesel-Mann“, kritisierte Hermann die Kritik aus den Reihen der „Allianz von populistisch bis ganz links“. Die Opposition habe „nicht die elementaren Daten“ zur Kenntnis genommen. Der Grünen-Minister erinnerte daran, seit die von der EU festgelegten Grenzwerte für Feinstaub bereits seit 2005 gelten und in Stuttgart „schon seit Jahren gerissen“ werden, obwohl sie eingehalten werden müssen. Seit 2010 würden auch die Grenzwerte für Stickstoffoxyd bestehen; auch diese seien in der Landeshauptstadt „doppelt so hoch wie erlaubt“.
Hermann sagte, die Landesregierung sei für die blaue Plakette, um die gefährlichen Stickstoffoxyde einzuschränken. „Aber der Bund hat nicht geliefert“, kritisierte er die Weigerung der Bundesregierung, eine solche Kennzeichnung einzuführen. Deshalb gebe es zu den von Baden-Württemberg beschlossenen Fahrverboten „keine Handlungsalternative“, auch wenn die Regelung eine „hoch bürokratische, blöde Lösung“ sei.
Aus Sicht des Grünen-Ministers ist der Diesel in Verruf geraten, „weil man betrogen und manipuliert“ hat. Kritik äußerte Hermann auch an den Händlern, die die Verbraucher beim Kauf von Dieselautos „nicht aufgeklärt“ hätten. Damit aber nicht weiterhin Menschen, die an Feinstaub belasteten Straßen wohnen, wegen schlechter Luft früher sterben, sei das beschlossene Fahrverbot notwendig.
Grün-Schwarz habe damit einen „typischen Rohrkrepierer“ produziert, kritisierte Bernd Gögel (AfD). Damit gerate eine ganze Industriebranche ins Abseits. Das ideologisch bedingte Fahrverbot von Grün-Schwarz sei „undurchdacht“, die heimische Industrie werde verärgert, die Regierung schaffe mit ihrer Kampagne gegen den Diesel „irrationale Feindbilder“ und führe einen Krieg gegen den Diesel und das Auto. Die Menschen in Baden-Württemberg benötigten Planungs- und Rechtssicherheit, es dürften nicht die Arbeitsgrundlagen der Menschen vernichtet werden. Feinstaub könne auch nicht durch Mooswände verhindert werden, urteilte Gögel. Er schlug eine Verlagerung der Verkehrsachsen um Stuttgart herum vor und sprach sich für bessere Verkehrslenkung, bessere Zugtaktung sowie das kostenlose Fahren im ÖPNV an Feinstaub-Tagen vor.
Mobilität in Baden-Württemberg dürfe nicht zu einer neuen sozialen Frage werden, warnte Martin Rivoir (SPD): Pendler und Handwerker könnten es sich nicht leisten, alle paar Jahre neue Autos zu kaufen, die den Normen entsprechen. Er wunderte sich über Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der noch in jüngster Vergangenheit „Fahrverbote verneint“ habe. Der Regierungschef habe den Kontakt zu den Menschen verloren, der Verkehrsminister dürfe tun, was er schon lange angestrebt habe und die CDU habe vor den Grünen gekuscht. Rivoir warf Verkehrsminister Hermann vor, selbstgefällig und abgehoben zu sein, wobei sich der SPD-Abgeordnete auf die Aussage des Grünen bezog, es dürfe kein Menschenrecht auf Schrott-Diesel geben. Das Fahrverbot von Grün-Schwarz käme einer kalten Enteignung gleich, man falle damit allen Menschen in den Rücken, die vor zwei bis drei Jahren in gutem Glauben neue Diesel gekauft hätten. „Unbedachte Fahrverbote sind nicht gut für unser Land“, sagte Rivoir – zumal es reihenweise Ausnahmegenehmigungen geben werde, beispielsweise für Touristenbusse, Handwerker und Anwohner.
Als „verheerendes Signal für den Wirtschafts- und Lebensstandort Baden-Württemberg“ bewertete Jochen Haußmann (FDP) die „faktische Enteignung“ von Menschen, die Diesel-Fahrzeuge jüngeren Datums fahren. So soll Stuttgart bereits in drei Jahren blaue Umweltzone sein. Autos, die bis vor zwei Jahren noch allen Anforderungen genügten, dürften dann ganzjährig in Stuttgart nicht mehr fahren. Der Feinstaub könne ohnehin nicht für diese grün-schwarze Verbots- und Bevormundungspolitik herhalten. Denn zwischen Euro 5 und Euro 6 gebe es keine Unterschiede, was ihr Emissionsverhalten betreffe. Haußmann befürchtet „gravierende Auswirkungen auf Tourismus, Handwerk und Mittelstand“. Auch das Taxigewerbe und Fahrschulen stünden vor großen Herausforderungen. Die angekündigten Ausnahmen für den Lieferverkehr seien noch völlig vage. „Fahrverbote bergen enormen sozialen Sprengstoff“, mutmaßte der Liberale.
Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen rechtfertigten das Fahrverbot. Es gehe um die Gesundheit der Menschen und den Schutz vor Schadstoffbelastung, sagte Hermann Katzenstein (Grüne). Grün-Schwarz handele verantwortungsbewusst, sonst hätten es Gerichte getan. „Opfer der Schadstoffe sind nicht die Dieselbesitzer, sondern betroffene Menschen“, erklärte der Grüne. Das gezielte Fahrverbot an Feinstaubtagen sei ein „maßvoller Gesundheitsschutz“. Katzenstein sprach sich auch für den Ausbau des ÖPNV und von Radwegen und ein effektives Verkehrsmanagement aus. Er befürwortet auch die blaue Plakette, denn „wir brauchen Autos, die im täglichen Leben sauber sind und nicht nur auf dem Prüfstand“. Das Fahrverbot richte sich nur gegen die Diesel und die Autoindustrie, aber und seine Fraktion setzten auf saubere Diesel.
Auch Felix Schreiner (CDU) würdigte die Entscheidung der Landesregierung. Das Fahrverbot sei eine Konsequenz aus einem ganzen Maßnahmenbündel, das unter Beteiligung der Wirtschaft und der Stadt Stuttgart erarbeitet worden sei. „Wir mussten handeln“, sagte er angesichts von Überschreitungen der Feinstaub-Grenzwerte an 63 Tagen im vergangenen und bereits 32 Tagen in diesem Jahr. 66 Kilometer Straßen in Stuttgart seien von Schadstoffen betroffen. Um generelle Fahrverbote zu verhindern, sieht auch Schreiner die blaue Plakette als Alternative. Bei den Verboten gehe es nicht ohne Ausnahme, konstatierte er. Für Lieferverkehr und Handwerker, auch für Busse mit E5-Norm müsse es solche geben. Auf lange Sicht brauche Baden-Württemberg „eine strukturelle Problemlösung“.