STUTTGART. Ministerpräsident Winfried Kretschmann startet in seine dritte und letzte Amtszeit mit einer Regierungserklärung, die die großen Linien bis 2026 zeichnen will, „schließlich dauert eine Legislaturperiode nicht ein Jahr, sondern fünf Jahre“.
Er geht aber auch auffallend konkret auf diverse Pläne ein, etwa für den ländlichen Raum als Baden-Württembergs „Rückgrat“, darunter mehr EU-Mittel für besonders strukturschwache Gemeinden, die Förderung von Telemedizin oder Dorfläden und sogenannten Multifunktions-Zentren, in denen Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen, Banken und Postfilialen an einem Ort gebündelt werden. Ein besserer ÖPNV und der flächendeckende Ausbau von schnellem Internet kommen hinzu. Das Land sei in der glücklichen Situation, dass es keine Kluft zwischen Stadt und Land gebe, zwischen boomenden Metropolen und abgehängten ländlichen Gegenden, sagt der Regierungschef, und das solle auch so bleiben.
Am dritten Sitzungstag einer neuen Legislaturperiode gehört die Bühne des Parlaments allein dem Regierungschef. Um den Vorsitzender aller fünf Fraktionen Zeit für ihre Erwiderung zu geben, findet auch diesmal die Aussprache über „Jetzt für Morgen - Die große Transformation gemeinsam gestalten“ erst am Tag danach statt. An großen Themen fehlt es nicht.
In Kretschmanns einstündiger Rede werden das Corona-Sofortprogramm und die Bildungspolitik, die Digitalisierung und insbesondere der Klimaschutz abgehandelt. Für den gelte: „Je rascher wir handeln, desto kleiner werden die Zumutungen sein.“ Im notwendigen ökologischen Wandel stecke aber auch eine Jahrhundertchance für ein Hochtechnologieland wie Baden-Württemberg. Da gebe es sehr viel mehr zu gewinnen als zu verlieren. Kretschmann fordert dazu auf, sich von alten Bildern freizumachen, „die uns auf eine falsche Spur locken“. Immer mehr setze sich die Erkenntnis durch, "dass Ökologie keine Wohlstandsbremse, sondern selbst das Geschäftsmodell ist“. So werde Klimaschutz zur Basis des Wohlstands von morgen.
Neben der Bekämpfung der Corona-Folgen nahm das Soziale einen breiten Raum bei der Bildungspolitik ein. Vor allem ging der Regierungschef, der SPD und FDP hier ausdrücklich zur Mitarbeit einlud, auf eine „Innovation“ ein, „die wir angehen wollen, und das ist der Einstieg in eine Ressourcenzuweisung, die am Sozialindex orientiert ist". Dahinter stecke eine ebenso einfache wie wichtige Idee: „Nämlich eine gezielte Unterstützung von Schulen, auf die besonders viele Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Familien gehen. Wir wollen die Ressourcen so verteilen, dass die Kinder auf diesen Schulen besser gefördert werden können.“ An Grundschulen sollen verstärkt multiprofessionelle Teams aus Sozialpädagogen, Psychologen und Logopäden eingesetzt werden. Im ganzen Land wolle die grün-schwarze Koalition die Kita-Gebühren sozial staffeln, „denn starke Schultern können dafür mehr bezahlen als schwache“. Deshalb werde die Landesregierung mit den Kita-Trägern über gute Gebührenmodelle verhandeln.
In einem weiteren Punkt kam der Grüne den Sozialdemokraten entgegen, die so gern in einer Ampel-Koalition mit Grünen und FDP regiert hätten: Es soll einen einen vergabespezifischen Mindestlohn geben, der der untersten Entgeltgruppe des Tarifvertrags im öffentlichen Dienst entspricht. „Damit greifen wir einen Vorschlag auf, den die SPD-Fraktion vor einigen Monaten gemacht hat“, so Kretschmann, „denn eine souveräne Regierung zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie gute Ideen der Opposition umsetzt, wenn sie den Menschen in unserem Land helfen."
Da es sich bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum um „eine der drängendsten sozialen Fragen unserer Zeit“ handele, hob Kretschmann die Schaffung eines eigenen zusätzlichen Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen hervor. Allerdings sei im letzten Jahrzehnt schon vieles auf den Weg gebracht worden: "Wir haben die Mittel für die Wohnraumförderung seit 2010 verfünffacht, eine Wohnraumoffensive gestartet und einen bundesweit einmaligen Grundstücksfonds für Kommunen aufgelegt.“
Kretschmann, der sich selbst als "Realpoltiiker" bezeichnete, entwarf ein optimistisches Bild vom Land und seiner Entwicklung in diesem Jahrzehnt. Als Beispiel nannte er die Bürgerbeteiligung, die inzwischen schon fast zu Baden-Württemberg gehöre "wie der Schiller, der Schwarzwald oder der Daimler". Jeanne Hersch, neben Hannah Arendt seine Lieblingsphilosophin, habe treffend von „nur einer einzigen, tatsächlichen, konkreten Verabredung mit der Wirklichkeit gesprochen, die finde genau jetzt statt: 'Jetzt und nur jetzt können wir so oder so handeln, so oder so entscheiden, so oder so das Gegebene verändern. (…) Nur jetzt üben wir unsere verantwortliche Freiheit'". Das schließe aus, mahnte der frühere Studienrat, sich wegzuducken oder über Versäumtes zu lamentieren, Aufgaben auf andere abzuladen oder auf die lange Bank zu schieben. "Jetzt für morgen" bedeute „die Verantwortung aktiv suchen und beherzt gestalten“. Das werde seine Koalition tun, „für uns, und für unsere Kinder und Enkel“.
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