Stuttgart. Mit den Stimmen der grün-roten Regierungsfraktionen hat der Landtag nach zweiter Lesung das Gesetz zur regionalen Schulentwicklung verabschiedet. Damit kommt zum ersten Mal seit 1973 wieder eine umfassende regionale Schulentwicklung in Baden-Württemberg in Gang.
Das Gesetz soll in Zeiten rückläufiger Schülerzahlen ein flächendeckendes Bildungsangebot und die Erreichbarkeit aller Bildungsabschlüsse für die Schüler sicherstellen. Erreicht werden soll dies mit einem Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium und den integrativen Angeboten der Gemeinschaftsschulen. Gleichzeitig werden Bedingungen für den Erhalt von Schulstandorten sowie alternativ das Verfahren einer regionalen Schulentwicklung mit den Beteiligten vor Ort definiert.
Kultusminister Andreas Stoch (SPD) schrieb dem Gesetz eine „elementare Bedeutung“ für die Zukunft der Schulen in Baden-Württemberg zu und warb bei der Opposition erneut vergebens um Unterstützung. „Mit diesem Gesetz geben wir Schulen, Eltern und Kommunen Antworten, die dringend erforderlich sind und eröffnen gerade dem Ländlichen Raum die Chance auf den Erhalt von Schulstandorten“, sagte Stoch. „Das ist keine parteipolitische Frage, sondern eine Frage der Verantwortung für die Bürger dieses Landes.“
Stoch räumte ein, dass die regionale Schulentwicklung vor Ort auch Unruhe auslösen werde, aber es erlaube, künftig über die Ortsgrenzen hinaus mit anderen Kommunen zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Stoch skizzierte als wesentliche Leitlinien den Abschied vom Denken in Schularten und das Ausrichten auf den Schulabschluss; den integrativen und bildungsgerechten Ansatz sowie die sichere Erreichbarkeit schulischer Angebote in ländlichen Gebieten.
Die Befürchtung der Opposition, die Gemeinschaftsschulen würde als Konkurrenz zu den etablierten beruflichen Gymnasien aufgebaut, ließ Stoch nicht gelten: „Wir haben eine hohe Hürde gebaut für die Einrichtung der Sekundarstufe II an den Gemeinschaftsschulen; sie stellt aber dennoch eine attraktive Weiterentwicklungsmöglichkeit dar und ist keine Konkurrenz für die beruflichen Gymnasien“, sagte der Kultusminister. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auf Basis dieses Gesetzes optimale Lösungen für die Schüler erreichen und dass es dabei helfen wird, gute schulorganisatorische Lösungen zu finden.“
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sandra Boser, sprach von einem „guten Tag für die Schullandschaft in Baden-Württemberg“. Die regionale Schulentwicklung sei ein wichtiger Schritt, um den Kommunen in Zeiten weiter sinkender Schülerzahlen Planungssicherheit zu geben. „Das veränderte Übergangsverhalten die und demographische Entwicklung haben nichts mit Grün-Rot zu tun“, sagte sie und kritisierte CDU und FDP für jahrelange Untätigkeit in deren Regierungsverantwortung.
„Zuzusehen, wie Schulstandorte ausbluten, ist der falsche Weg“, sagte sie und bemängelte, dass kein tragfähiges Konzept der Opposition vorliege. „Wollen sie Standorte aufrecht erhalten, ob wohl keine Schüler mehr da sind? Es ist eine Unverschämtheit, den Bürgern verkaufen zu wollen, dass alles bleiben kann, wie es ist.“ Das Gesetz habe nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit Realitäten. „Wer sich gegen die regionale Schulentwicklung stellt, stellt sich gegen den Ländlichen Raum und hat die Probleme des Ländlichen Raums nicht erkannt“, so Boser.
Auch Gerhard Kleinböck (SPD) lobte das Gesetz als eines, das Eltern und Kommunen Planungssicherheit gebe. Es sei gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden auf den Weg gebracht worden. „Das ist wichtig und gut so“, sage er, bei Gemeinde-, Städte- und Landkreistag sei Erleichterung darüber spürbar, dass es künftig eine landesweit einheitliche Rechtsgrundlage geben.
Für die CDU, die mit einer Reihe von Änderungsanträgen noch vergeblich versucht hatte, einzugreifen, nannte Georg Wacker das Gesetz das „erste Schulschließungsgesetz des Landes“. Mit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung 2012 habe die grün-rote Landesregierung das Schulsterben im erst eingeleitet. „Dieser Wegfall hat sich verheerend auf die Schulen im Ländlichen Raum ausgewirkt.“ Dass auch CDU-Bürgermeister sich um die Einrichtung vonGemeinschaftsschulen bemühten, wollte Wacker nicht als Zustimmung gelten lassen: „Auch ein CDU-Bürgermeister ergreift einen Strohhalm, wenn es um die nackte Existenz geht.“
Wacker warf dem Kultusminister vor, „erbarmungslos dne Schulschließungprozess in Baden-Württemberg in die Wege zu leiten. „Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie das Vertrauen zwischen Land und Kommunen zerstört werden kann.“ Wacker kritisierte vor allem, dass die pädagogisch wertvolle Arbeit vieler kleiner Schulen unter der Mindestschülerzahl bei dem Prozess keine Rolle spiele.
Heftige Kritik kam auch erneut von den Liberalen. „Wenn Sie behaupten, Sie hätten ein Herz für die Schulen im Ländlichen Raum, ist es so glaubhaft wie Bischof Tebartz-van-Elst auf dem Jakobusweg“, sagte Timm Kern (FDP). Die Liberalen seien zwar grundsätzlich für eine regionale Schulentwicklung und hätten lange überlegt, wie sich sich positionieren sollten. Das Gesetz aber sei ein „vollständig irreparables bürokratisches Monstrum“ geworden, „frei von Entscheidungsfreiheit und Verantwortung vor Ort“.
Kern: „Das Gesetz wird das Schulsterben beschleunigen und die Gemeinschaftsschulen privilegieren.“ Der Liberale warf Kultusminister Stoch Mutlosigkeit vor. Das Gesetz sei starr und unflexibel geblieben. „Wir hätten uns gewünscht, die Verantwortlichen vor Ort hätten diesen Prozess selbst ausgestalten können. Wir müssen das Gesetz ablehnen, weil wir eine ausgewogenen, freiheitlich Bildungspolitik für die Bürger wollen“, so Kern.