Stuttgart. Begleitet von einzelnen heftigen persönlichen Vorwürfen hat der Landtag am Mittwoch das Gesetz zur Umsetzung der Polizeistruktur 2020 verabschiedet. Die SPD, die in der vergangenen Legislaturperiode die erste Polizeireform durchgesetzt hatte, votierte gegen die Neuerungen. Ihr Fraktionsvize Sascha Binder warf Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor, den „regionalen Bedürfnissen oder besser, Wahlkreisinteressen einzelner CDU-Abgeordneter" nachgegeben zu haben. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Hans-Ulrich Sckerl sprang Strobl dagegen zur Seite: Es sei unter polizeilichen Gesichtspunkten entschieden worden.
„Wichtigste Aufgaben werden gelöst“, sagte Sckerl. Die Polizei werde mit der neuen Aufbauorganisation orts- und bürgernäher sein als bisher. Das gelte ausdrücklich auch für die Ansiedlung der polizeilichen Einrichtung im neuen Polizeipräsidiumsbezirk Pforzheim. Er finde „diese kleinlichen Diskussionen um Vorteile für Wahlkreisabgeordnete oder dass der Wahlkreisordnete entscheidet, wo die Kriminaldirektion hinkommt, falsch, das ist Kokolores“.
Die FDP-Fraktion stimmte der neuen Polizeistruktur zu. Kritisch beleuchtet wurden die Veränderungen vom früheren Justizminister Ulrich Goll dennoch. Grün-Schwarz verkaufe die Polizeistruktur 2020 als Umsetzung der Empfehlungen der Evaluation der Polizeireform. „Damit streut die Koalition der Bevölkerung aber Sand ins Auge, denn zentrale polizeifachliche Forderungen werden gerade nicht umgesetzt“, so der Liberale. Denn die „hochkarätig besetzte Evaluationskommission“ habe eine Polizeistruktur mit 14 Polizeipräsidien und die Abschaffung der Zentralen Verkehrsunfallaufnahme auf dem Land empfohlen. Beides sei aber nicht umgesetzt. Dass seine Fraktion trotzdem ihr Plazet gebe, begründete Goll damit, dass die erste Reform in der vergangenen Legislaturperiode mit der „völlig verfehlten Struktur der Polizei im Land zumindest in die richtige Richtung geändert wird“.
Innenminister Strobl nutzte die Debatte für einen Gesamtüberblick über die von ihm angestoßenen Maßnahmen. Er lobte dabei die Einführung der Bodycams, die Stadion-Allianzen der Fußballvereine, die technische Ausstattung der Polizei oder den Sonderstab „Gefährliche Ausländer“. Das seien alles, sagte der Minister an die Adresse der SPD, „Maßnahmen, bei denen Sie Lichtjahre davon entfernt waren, irgendetwas auf die Reihe zu bringen“. Und er warf den Sozialdemokraten vor, ein „Problem mit der Geografie“ zu haben. Dass zwischen Konstanz und Ravensburg der Bodensee liege, „das haben Sie bei Ihrer Reform damals nicht berücksichtigt, und das ist das Problem gewesen“.
Binder konterte. Es gehe nicht um geografische Unkenntnis, sondern darum, dass „die Frage des Bodensees polizeifachlich unterschiedlich gesehen werden kann: Die einen sagen, es sei ein gemeinsamer Kriminalitätsraum, und die anderen sagen, es sei eine Frage der Erreichbarkeit über den See hinaus“.
Der CDU-Innenexperte Thomas Blenke, der aus Calw stammt und dem die Vorwürfe in Sachen Wahlkreisinteressen galten, erklärte die Veränderungen damit, „dass die SPD zwei Oberzentren übergangen hat“. Erstens habe das heutige Polizeipräsidium Konstanz einen falschen Zuschnitt: Ein Blick „auf die Landkarte – oder besser auf die Seekarte – zeigt dies“. Das neue Polizeipräsidium Ravensburg mit Kriminalpolizei in Friedrichshafen sei dagegen deckungsgleich mit der Region Bodensee-Oberschwaben. Und zweitens sei das heutige Präsidium Karlsruhe viel zu groß und der Nordschwarzwald zerrissen. „Ein neues PP Pforzheim mit Kriminalpolizei in Calw ist deckungsgleich mit der Region Nordschwarzwald“, sagte Blenke weiter.
Auch der AfD-Abgeordnete Lars Patrick Berg befasste sich mit den örtlichen Gegebenheiten. Es sei „keinem Pforzheimer und erst recht keinem Polizeibeamten erklären, was diese Dienststelle auf der Insel der Seligen im Landkreis Calw zu suchen hat“. Solle riskiert werden, „dass die Kripo erst nach stundenlanger Wartezeit, wenn viele Spuren womöglich schon verschwunden oder erkaltet sind, zum Schauplatz eines der vielen Verbrechen, die in Pforzheim passieren, hinzukommt“? Die AfD lege „allergrößten Wert auf die Funktionsfähigkeit der Polizei und die Sicherheit der Bürger und nicht auf mögliche Eitelkeiten von Provinzfürsten der Regierungsfraktionen“.