STUTTGART. Grüne und CDU haben sich in der zweiten Corona-Sitzung des Landtags im neuen Jahr hinter die Beschlüsse der Kanzlerinnen-Runde gestellt. Selbst FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke begrüßte, dass der Ministerpräsident das Parlament mit seiner Regierungsinformation einbinde.
In der Bewertung der Situation liegen Oppositions- und Regierungsfraktionen aber weit auseinander. Und die SPD scheiterte mit ihrem Vorhaben, Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) die Zuständigkeit für die Koordinierung der Corona-Maßnahmen zu entziehen. Er selbst sei überfordert und sein Ministerium für die Aufgabe zu klein, erklärte der Fraktionschef und SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl Andreas Stoch: „Die Folge sind vermeidbare Pannen, Kommunikationsstau und ein ungeheurer Frust, gerade auch in Pflegeheimen und Krankenhäusern, aber auch bei den Menschen, die sich jetzt um Impftermine bemühen.“
Auch Rülke kritisierte „das Impfchaos“ scharf, das nicht mehr mit anzusehen sei. Baden-Württemberg belege unter den Bundesländern bei der Impfquote den 16. Platz und trage somit „die Rote Laterne im ganzen Bund“. Lucha sei „der FC Tasmania 1900 des Impfens“, so Rülke in Erinnerung an den erfolglosesten Verein in der Geschichte der Fußballbundesliga. Was der Sozialministerin allerdings nicht auf sich sitzen lassen mochte. Mit detaillierten Zahlen erläuterte er das Vorgehen, etwa wie in Ansprache mit allen Impfzentren, regelmäßig 1107 Dosen verpackt in Pizzakartons weitergegeben werden. Kretschmann wollte diese Kritik nicht akzeptieren und verwies auf die aktuellen Zahlen des Robert-Koch-Instituts, die Baden-Württemberg in der Statistik der abgeschlossenen Impfungen, also nach der ersten und er zweiten Dosis, an Platz eins sehen. Er wolle nicht behaupten, dass es reibungslos laufe, aber „die Richtung stimmt“. Man komme wie geplant voran. Eine Impfkampagne sei einfach „kein Windhundrennen“.
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz kritisierte wie „aus jedem Zehntelprozent eine Schlagzeile gemacht wird“. Andererseits zahle sich jetzt "unsere konservative und vorsichtige Herangehensweise aus“. Manche Länder seien vorgeprescht und gerieten jetzt in Nöte, weil die zweite Dosis nicht schnell genug geliefert werde, darunter Bayern, wo gerade flächendeckend Impftermine abgesagt würden, und NRW, wo der Start der Impfungen für die über 80-Jährigen auf den 8. Februar verschoben worden sei.
„Ich mache hier niemand einen Vorwurf“, sagte Schwarz, „denn es gibt unterschiedliche Philosophien, und letztlich wird sich erst im Sommer zeigen, welche davon am besten war.“ Wie die Grünen Minister Lucha verteidigten gegen die Angriffe der Opposition, so stellte sich CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart vor die Kultusministerin, der SPD und FDP Versagen vorwarfen. Weiterhin nicht vorgelegt sei „eine echte und an die Inzidenzlage vor Ort anpassbare Strategie zur möglichen Öffnung von Schulen und Kitas“, so Stoch, das sei aber „viel mehr als das Eisenmannsche alles auf oder alles zu“. Reinhart lobte das Engagement der CDU-Herausforderin von Winfried Kretschmann am 14. März dagegen als richtig und wichtig: „Wir können die psychische, soziale und geistige Gesundheit der Kinder nicht auf Dauer einer anderen Gesundheitsfrage unterordnen.“ Und er lobte, wie sich der Ministerpräsident dem Kurs Eisenmann geöffnet habe, denn es dürfe nicht um Sieg und Niederlage gehen.
Kretschmann selbst machte allerdings neue Vorgaben, die er mit der Ministerin abgestimmt habe. Er verlangt, dass Baden-Württembergs Grundschulen, wenn die Infektionszahlen sinken, ab 1.Februar nur dann öffnen, wenn die Klassen im Präsenzunterricht geteilt werden. Und er erläuterte, warum höchstens die Hälfte der Kinder einer Klasse anwesend sein dürfe: „0,5 mal 0,5 gibt 0,25, wir hätten den vierfachen Effekt dieser hochwirksamen Maßnahme.“ Das sei ihm erst im Gespräch mit Wissenschaftlichern so richtig klar geworden, „aber ich müsste mich ja nicht beraten lassen, wenn ich alles schon selber wüsste“. Eisenmann sei jetzt gebeten, entsprechende Konzepte vorzulegen.
Zugleich stellte der Ministerpräsident noch einmal klar, dass es „eine Öffnungsperspektive nur gibt, wenn sich der Abwärtstrend fortsetzt“. Die aktuelle Entwicklung kenne „einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil“. Der sichtbare sei positiv, weil sich die Ansteckungszahlen mehr als halbiert hätten. Das zeige, „der Lockdown wirkt und unsere Anstrengungen zahlen sich aus“. Die noch unsichtbare Entwicklung betreffe die Virusmutationen. Das mutierte Virus sei im Land angekommen und werde sich „mit ziemlich naturgesetzlicher Sicherheit auch ausbreiten“. Deshalb müsse jetzt schnell reagiert werden.
Wie schon bei der ersten Corona-Sondersitzung warf AfD-Fraktionschef Bernd Gögel Land und Bund „Generalversagen“ vor, mit der Abgabe der Verantwortung für den Impfstoff an die EU. Zu Beginn der Debatte hatte seine Fraktion mit einer Protestaktion für Aufregung gesorgt. Die Abgeordneten hielten große Plakate hoch mit der Aufschrift "Grundrechte sind nicht verhandelbar!" Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) musste sie mehrfach auffordern, die Plakate herunterzunehmen, was schlussendlich auch erfolgte. Außerdem weigerten sich fast alle AfD-Abgeordneten anders als bei früheren Plenarsitzungen, eine Maske zu tragen.