Stuttgart. Der Landtag ist dem Vorbild von sieben Bundesländern gefolgt und hat ein Gesetz zur Stärkung der Quartiersentwicklung durch Privatinitiative verabschiedet. Die Opposition verweigerte sich der Neuregelung, weil unter anderem nicht Innenstädte gestärkt würden, sondern vor allem die Bürokratie. Grüne und SPD beschlossen dagegen, dass Gemeinden ab 2015 auch im Südwesten auf Antrag der Grundstückseigentümer Aufwertungsbereiche festlegen können, in denen in privater Verantwortung Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Quartiers ergriffen werden.
Die Idee, die hinter der Initiative steckt, loben auch CDU-Abgeordnete. Der Reinhard Löffler aus Stuttgart etwa anerkennt den Versuch, Einzelhändler in Innenstädten zu unterstützen, die gegenüber Malls und Shopping-Centern ins Hintertreffen zu geraten drohen oder schon sind. Das habe Charme, sei gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Sein Fraktionskollege Manfred Hollenbach aus dem Wahlkreis Bietigheim-Bissingen stört sich zudem daran, dass künftig 15 Prozent der Bewohner einer Quartiersgemeinschaft darüber entscheiden können, was auch für die anderen 85 Prozent zu gelten habe.
Für die FDP befürchtet Niko Reith dagegen gar keine oder die falschen Initiativen. Er verweist der Jahreszeit entsprechend auf Beispiele aus Schleswig-Holstein, wo entsprechende Zusammenschlüsse nichts anderes getan hätten als neue Weihnachtsbeleuchtungen anzuschaffen. Zugleich sieht Reith „ein Einfallstor für Kommunen, sich aus der Verantwortung für die Sauberkeit und vielleicht sogar die Sicherheit“ in dem jeweiligen Quartier zurückzuziehen.
Ingo Rust (SPD), der Staatssekretär im Finanzministerium, bewertet die Konsequenzen des Gesetzes naturgemäß anders. „Wir geben Gemeinden, Unternehmen und Bürgern ein Instrumentarium an die Hand, die Attraktivität von Innenstadt- und Stadtteilquartieren zu entwickeln“, so Rust in der abschließenden zweiten Lesung am Mittwoch im Landtag. Niemandem werde etwas vorgeschrieben und keiner zu etwas gezwungen. Kommunen in Baden-Württemberg, „die so verfahren möchten, können einen Business Improvement oder Urban Improvement Districts einrichten, wenn ausreichend viele Gewerbetreibende und vor allem kleine Einzelhändlern in unseren Stadtzentren dies möchten.“
Basis für alle Aktivitäten sind Quartiersgemeinschaften. Deren Zusammenschluss kann beantragt werden, wenn mindestens 15 Prozent der Grundstückseigentümer mit 15 Prozent der Fläche im angestrebten Aufwertungsgebiet zustimmen. Die Quartiersgemeinschaft legt dann ein fünfjähriges Maßnahmen- und Finanzierungskonzept vor. Die Finanzierung erfolgt durch eine Sonderabgabe bei den Grundstückseigentümern. Der Verteilungsmaßstab wird von der Gemeinde in der Satzung festgelegt. „Die Gemeinde“, so Rust, „ist jederzeit Herr des Verfahrens und kann einen Antrag in jedem Verfahrensstadium ablehnen.“
Die CDU hätte sich dem Vorhaben öffnen können, wären die Quoren verändert worden. Im Ausschuss wollte sie die nötige Zustimmungssschwelle von 15 auf 50 Prozent anheben. „Das wäre ein Verhinderungsquorum gewesen“, kritisiert die Grünen-Abgeordnete Andrea Lindlohr. Wer gegen die Initiative sei, soll dies offen sagen, statt solche Umwege zu wählen. Lindlohr verwies ebenfalls auf Beispiele aus den Ländern Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein - allerdings auf funktionierende. Sie betonte ebenfalls die Freiwilligkeit und die Tatsache, dass in der Praxis bisher kein Fall bekanntgeworden sei, in dem eine Gemeinde eine Aufgabe auf eine Quartiersgemeinschaft abgewälzt habe.
„Wir eröffnen Möglichkeiten“, so auch Manfred Kern (Grüne). Niemand müsse, aber jeder könne. Und er sei sicher, sagt der Schwetzinger weiter, dass gerade Einzelhändler die neuen Regelungen als „Weg aus der Falle zwischen Online-Handel und Shopping-Center sehen“.
Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle nennt es in einer ersten Reaktion „eine gute Sache“, dass der Landtag den Weg für mehr Privatinitiative in Einkaufsstraßen hat. Kritikpunkte des Baden-Württembergischen Handwerkstages (BWHT) seien allerdings nicht restlos ausgeräumt. Zwar habe der BWHT mit einer Klarstellung im Gesetzestext erreichen können, „dass Kommunen über diese Initiativen keine gesetzlichen Aufgaben auf Private abwälzen dürfen“. Aber es bleibe die Kritik an der starken Stellung der Gemeinde. Natürlich müssten die Maßnahmen zu deren städtebaulichen Konzepten passen. Während jedoch Eigentümer und Unternehmer hohe organisatorische Vorleistungen auf sich nehmen müssten, könne die Stadt den Prozess jederzeit stoppen. Möhrle: „Hier sollte mehr Vertrauen in die Eigentümer und die Wirtschaft vorhanden sein.“