Kretschmanns ökologisch-soziale Erneuerung

25.05.2011 
Redaktion
 
Regierungserklärung
Zwei Wochen nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten durch die Landtagsabgeordneten hält Winfried Kretschmann (Grüne) seine erste Regierungserklärung. Foto: ddp images/dapd

Stuttgart. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat einen Wechsel beim Politik-Stil im Südwesten angekündigt. In seiner ersten Regierungserklärung im Landtag sagte er, dass dem Land zwar keine politische Revolution bevorstehe, aber eine ökologisch-soziale Erneuerung.

Die Regierungskoalition aus Grünen und Sozialdemokraten stehe für eine neue Gründerzeit, stellte Kretschmann fest: „als Weg, als Navigationsspur zu den Arbeitsplätzen der kommenden Jahrzehnte“. Die Wirtschaft im Land brauche eine neue und tragfähige industrielle Basis, wobei der Ministerpräsident an einzelne Protagonisten aus der Geschichte erinnerte: an Carl Benz, Gottlieb Daimler und Robert Bosch.

Vier Aufgaben stehen im Vordergrund

In der 75 Minuten langen Regierungserklärung nannte Kretschmann vier Aufgaben, die für die neue Landesregierung im Vordergrund stünden: die ökologische und soziale Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die Schaffung bester Bildungschancen für alle, Baden-Württemberg zum Musterland für gute Arbeit zu machen sowie für nachhaltige Finanzen.

Zudem kündigte der Regierungschef eine „Politik des Gehörtwerdens“ an, worunter er in erster Linie mehr Bürgerbeteiligung verstehe. „Eine moderne, lebendige und starke Demokratie lebt vom Einspruch und von der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger“, erklärte Kretschmann. Deshalb will er die Hürden für Volksentscheide und Volksbegehren abbauen – und hofft dabei auf die Unterstützung der Oppositionsparteien CDU und FDP. Das auch innerhalb der Regierung umstrittene Thema Stuttgart 21 sprach er bloß am Rand an.

Nachdem der Ministerpräsident kurz nach der Wahl mit Aussagen über die Automobilbranche für Aufregung gesorgt hatte, bemühte er sich in seiner Regierungserklärung um Beruhigung: „Niemand in dieser Landesregierung will den Menschen vorschreiben, welches Auto sie kaufen sollen.“ Gleichzeitig wies er die Automobilhersteller als Schlüsselbranche der Wirtschaft in Baden-Württemberg aber darauf hin, dass angesichts der steigenden Energiekosten schwere, spritfressende Autos bald schon zu „Ladenhütern“ werden könnten. Er schlug vor, den Südwesten zu einer „lebendigen Verkaufsmesse für neue, integrierte Mobilitätskonzepte“ zu machen. Welche Technologien und Produkte künftig erfolgreich sein werden, müsse am Markt und im Wettbewerb entschieden werden.

Landesmittel für Krankenhäuser sollen erhöht werden

Bedarf und Impulse für die neue Gründerzeit sieht Kretschmann aber nicht allein im Bereich der klassischen Industrie und wirtschaftsorientierter Dienstleistung. Große Wachstumschancen gebe es auch für den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg mit einem Wertschöpfungspotenzial von 15 bis 20 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren.

Der Grünen-Politiker kündigte an, die Landesmittel für die Krankenhäuser deutlich zu erhöhen und damit auch Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie will die Regierung durch 7500 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher bis zum Jahr 2013 verbessern. Der demografische Wandel und die neuen gesellschaftlichen Bedarfe führen nach Ansicht von Kretschmann auch im Sozialen zu einem enormen Investitionsschub.

Als weitere wichtige Projekte der neuen Regierung sieht der Regierungschef die frühkindliche Bildung, die Sprachförderung und ein sozial gerechtes Schulsystem. Dabei bezeichnete er es als „Armutszeugnis der Vorgängerregierungen“, dass in Baden-Württemberg die soziale Herkunft deutlich über den Bildungserfolg entscheide: „Ich will, dass in unserem Land endlich alle Kinder die gleichen Chancen erhalten, an Bildung teilzunehmen - von Anfang an und unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.“

Pakt mit den Kommunen im Bereich der Bildung

Außerdem habe die Vereinbarkeit von  Beruf und Familie höchste Priorität; dies sei unter der CDU-Regierung zu lange vernachlässigt und verschleppt worden. Nicht die Kinder müssten sich der Schule anpassen, sondern an den Schulen müsse man auf die individuellen Bedürfnisse, Talente und Fähigkeiten der Kinder eingehen. Dazu will die Landesregierung Modellschulen zulassen und flächendeckend Ganztagsschulen einführen. Dies geschehe aus Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung in einem Pakt mit den Kommunen. Damit akademische Bildung nicht an finanziellen Hürden scheitere, würden die Studiengebühren im Land zum Sommersemester 2012 abgeschafft.

Kretschmann kündigte an, Baden-Württemberg zum „Musterland für gute Arbeit“ zu machen. Dazu gehören für ihn Mindestlöhne und „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sowie der Abbau von Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern. Er kündigte an, dass das Land durch ein Tariftreuegesetz ab dem Jahr 2012 alle Anbieter verbindlich verpflichten werde, bei öffentlichen Aufträgen des Landes und der Kommunen Tariflöhne zu bezahlen. Die neue Finanzpolitik werde auf die Einhaltung der Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgerichtet; alle Ressorts sollen mit einem „Finanzplan 2020“ verbindliche Orientierungsplanungen einführen.

Noch vor der Sommerpause soll es einen Kassensturz geben

Kretschmann warf der Opposition vor, dass das Land nach 58 Jahren CDU-Regierung vor einem gewaltigen Schuldenberg stehe. Berücksichtige man die verdeckten und verschobenen Lasten, stehe Baden-Württemberg auf dem letzten Platz aller 13 Flächenländer. Hinzu kämen Sanierungsrückstände an den Hochschulgebäuden, bei den Landesstraßen und den Krankenhäusern in Milliardenhöhe – und dies bei einem Schuldenberg von weit mehr als 40 Milliarden Euro.

Der Ministerpräsident  kündigte bis zur Sommerpause einen Kassensturz an, um ein ungeschminktes Bild der Landesfinanzen zu erhalten. Steuermehreinnahmen würden zur Konsolidierung des Haushalts verwendet. Außerdem soll die Steuerverwaltung personell aufgerüstet werden. Zur geplanten Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 3,5 auf 5 Prozent sagte der Regierungschef, dies sei notwendig, um Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zu finanzieren.


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