Stuttgart. Die SPD-Fraktion hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) und die Regierungsfraktionen von Grünen und CDU in scharfer Form aufgefordert, den weiteren Fahrplan für die Korrektur der Polizeireform endlich vorzulegen und die Zahlen öffentlich zu machen. „Die ganze Polizei hat auf den 30. Mai geschielt“, sagte der SPD-Abgeordnete Sascha Binder unter Hinweis auf eine Ankündigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), die Ergebnisse „vor Pfingsten“ vorzulegen.
Mit ihrer Mehrheit lehnten Grüne und CDU gegen die Stimmen von AfD, SPD und FDP den SPD-Antrag ab, alle Dokumente zur Evaluierung der Polizeireform inklusive der Teilprojektberichte offenzulegen sowie die Kostenschätzungen für die vorgeschlagenen Modelle durch den Rechnungshof überprüfen zu lassen.
Binder warf Strobl vor, den von der Landesregierung kommunizierten Zeitplan, auf den sich Polizei, Parlament und Öffentlichkeit verlassen haben, nicht eingehalten zu haben. „Dies sorgt nicht nur für Unruhe in der Polizei, sondern es drängt sich der Eindruck auf, dass Ihnen dieser Prozess zunehmend entgleitet“, sagte Binder.
Strobl könne den Zeitplan nicht einhalten, weil er den Kostenberechnungen des eigenen Landespolizeipräsidenten und der eigenen Abteilung im Ministerium nicht traue. Der Innenminister wisse genau, dass er bei Investitionskosten von 140 Millionen Euro und jährlichen dauerhaften Kosten von 19 Millionen Euro eine rein politisch motivierte Veränderung der Polizeistruktur, gegen das Votum des Landespolizeipräsidenten nicht durchdrücken könne.
„Es darf nicht sein, dass ein Innenminister nur politisch motiviertes Kirchturmdenken von CDU-Abgeordneten im Kopf hat und die Expertise des eigenen Ministeriums dagegen außer Acht lässt. Die Polizei droht zum politischen Spielball innerhalb der grün-schwarzen Koalition zu werden. Sie muss darüber hinaus nun begründete Zweifel an der Ernsthaftigkeit des breit angelegten Beteiligungsprozesses haben“, sagte Binder.
Sprecher der Regierungsfraktionen wiesen die Angriffe zu. Die Polizei müsse technisch und personell für alle Gefahren aufgestellt werden, erklärte Petra Häffner (Grüne). Entscheidend sei nicht, wo welches Polizeipräsidium stehe. Für die Qualität sei vielmehr wichtig, die Polizei so einsatzfähig wie möglich zu machen. Sie räumte ein, dass er Personalkörper bei der Polizei „angespannt“ sei. Außerdem kritisierte sie die von Grün-Rot in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedete Polizeireform: Die operative Basis sei dadurch nicht gestärkt worden. Dies hätten auch 88 Prozent der befragten Polizeimitarbeiter betont.
Siegfried Lorek (CDU) erklärte, die Kosten etwaiger Korrekturen der Polizeireform würden jetzt geprüft. Er kündigte auch an, die Ausbildungsstandorte der Polizei zu erhöhen. „Den Empfehlungen des Lenkungsausschusses sollten wir folgen“, sagte der Polizeiexperte. Es gehe um die bestmögliche Sicherheit für die Menschen in Baden-Württemberg. Lorek wies auf die „größte und umfassendste Beteiligung“ bei der Evaluierung mit mehr als 11 000 Antworten hin.
Aus Sicht der AfD hat die Polizeireform unter dem früheren Innenminister Reinhold Gall (SPD) „in Kernpunkten versagt“. Für Lars Patrick Berg (AfD) steht deshalb fest, „dass nachjustiert“ werden muss. Der Personalstand der Polizei reiche nicht auf, zudem bestehe ein Stadt-Land-Gefälle. Auch bei den Polizeirevieren habe die Reform ihr Ziel verfehlt. Berg forderte, mehr Beamte in den operativen Dienst zu bringen. Die Reform habe auch nicht zu flacheren Hierarchien geführt, sondern sei zu Lasten der operativen Arbeit der Polizei gegangen. Deshalb erwarte die Polizei „sinnvolle Strukturen“ als Konsequenz der Evaluierung, wobei sich Berg für das Modell von 14 Polizeipräsidien aussprach.
Für die FDP forderte Ulrich Goll von Innenminister Strobl, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen. Alles andere sei nicht vernünftig. Die überdimensionierte und fehlerbehaftete grün-rote Polizeiform habe die Erwartungen nicht erfüllt. Weder sei die Präsenz in der Fläche erhöht, noch die Aus- und Fortbildung optimiert worden. Als falsch hätten sich die Gliederung der Polizei in zwölf Präsidien und die Zentralisierung der Unfallaufnahme erwiesen.
Goll befürchtet, dass sich die Koalition von „dass sich die Koalition, wie so oft in den letzten Monaten, auf einen faulen Kompromiss verständigt. Stattdessen forderte er, die Polizei in „bestmöglichen Strukturen arbeiten zu lassen“. Die Polizei sei unverzichtbar, „das Beste darf uns gut genug sein“. Strobl müsse die Vorschläge zur Nachbesserung umsetzen.
Strobl reagierte auf die Kritik. „Vor der Sommerpause haben wir Klarheit“, kündigte der Innenminister an. Derzeit würden die personelle und finanzielle Ausstattung in der notwendigen Gründlichkeit überprüft. Die Polizei werde „spätestens vor der Sommerpause wissen, wohin die Reise geht.“ Der Innenminister warf der SPD „politischen Sado-Masochismus“ vor und verwahrte sich gegen den Vorwurf, die Evaluierung beeinflusst zu haben: „Es gab keine politischen Vorgaben.“ Auch habe es keine Ergebnisse schon vor der Arbeit einer Expertenkommission im Innenministerium geben. Das Gremium hat die Polizeireform evaluiert und Korrekturen vorgeschlagen, etwa die Zahl der Präsidien von 12 auf 14 zu erhöhen.