Stuttgart. „Demografische Berechnungen zeigen: Wollte man die Alterung der deutschen Bevölkerung tatsächlich stoppen, müssten von nun an jährlich 3,4 Millionen Menschen hinzukommen, entweder durch Geburten oder durch Zuwanderung. Die Bevölkerungszahl Deutschlands müsste bis zum Jahr 2050 auf 300 Millionen anwachsen - ein völlig irreales Szenario“, schreibt der Demografiebeauftragte des Landes, Thaddäus Kunzmann (CDU) in einem Papier „Wege zu einer Demografiestrategie“, das er vergangene Woche vorstellte. Vielmehr müsse sich die Gesellschaft auf die veränderte Altersstruktur einstellen.
Die CDU griff das Thema des demografischen Wandels an diesem Mittwoch auch in einer aktuellen Debatte des Landtags auf. Stefan Teufel (CDU) machte deutlich, dass es darum gehen müsse, zu überprüfen, welche Folgen die Politik für die Gesellschaft von morgen habe. Baden-Württemberg hat derzeit im Bundesvergleich mit einem Durchschnittalter von 43 Jahren die jüngste Bevölkerung. Ein Grund dafür ist die Zuwanderung. Seit der Gründung des Bundeslands sei die Bevölkerung um 62 Prozent gewachsen, wie Teufel ausführte. Er wies darauf hin, dass die CDU die Punkte im Koalitionsvertrag, darunter ein Demografiebonus für Kommunen, die stark vom demografischen Wandel betroffen sind, umsetzen will. Auch die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission Pflege müssten in dieser Legislaturperiode Schritt für Schritt umgesetzt werden.
Auch für Stefanie Seemann (Grüne) ist die Frage, wie der demografische Wandel gestaltet wird, eines der Zukunftsthemen. Er betreffe alle Menschen und Lebensbereiche, wirke sich jedoch unterschiedlich aus. Diese Querschnittsaufgabe könne nur gemeinsam gelöst werden. Für sie spielt dabei nicht allein die soziale Perspektive eine Rolle, sondern auch der Erhalt der Lebensgrundlagen.
Christina Baum (AfD) kritisierte, dass bei dem Thema bis heute nichts passiert sei. Sie sprach von „wohlklingenden aber hohlen Phrasen“. Sie kritisierte die Zuwanderung von Pflegekräften aus dem Ausland und forderte eine Entlastung der Familien. Es müsse alles zum Wohl der Familien getan werden, lautete ihr Plan für den demografischen Wandel. Auch forderte sie höhere Löhne, damit ein Elternteil sich der Betreuung der Kinder widmen könne.
Andreas Kerner (SPD), der beruflich aus der Altenpflege kommt, machte deutlich, dass über 60 Prozent der Pflegekräfte einen Migrationshintergrund hätten. Zugleich drehte er auch das Thema weg von der Altersdebatte in dem er den ehemaligen Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel (CDU) zitierte: „Es gibt nicht zu viel Alte, sondern zu wenig Junge.“ Kenner machte auch deutlich, dass Leistungen wie etwa altersgerechte Wohnungen auch jungen Familien zu Gute kämen: „Wo der Rollator gut durchkommt, kommt man auch mit dem Kinderwagen durch“, so Kenner.
Beim Thema Demografiebonus, der darauf abzielt, dass Kommunen mit deutlichen Einwohnerrückgängen im ländlichen Raum für zehn Jahre zusätzliche finanzielle Zuweisungen bekommen sollen, forderte er die Regierungsfraktionen, die das Thema beide angeschnitten hatten, auf, einen entsprechenden Vorschlag in den Landtag einzubringen. Dieses Thema finde die 100-prozentige Unterstützung seiner Partei.
Jürgen Keck (FDP) sieht allerdings beim Thema Barrierefreiheit noch viel Nachholbedarf. „Hier gibt es im Land noch viel zu tun“, so Keck. Er forderte Förderinstrumente besser aufeinander abzustimmen. Auch kritisierte er die neue Pflegeausbildung. Er sieht die künftige Generalistik in der Ausbildung kritisch und fürchtet dadurch zusätzliche Probleme für die Pflegeeinrichtungen.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) sieht die Landesregierung beim Thema demografischer Wandel auf einem guten Weg. Er wies im Landtag auf die Aktivitäten von Breitbandausbau über die Quartiersentwicklung bis zum Wohnungsbau hin. Man sei in vielen Bereichen unterwegs. Konkret sprach er auch den Kabinettsausschuss ländlicher Raum unter Leitung von Minister Peter Hauk (CDU) an. Hier befasse man sich mit den unterschiedlichen Themen und ihren Auswirkungen auf den ländlichen Raum.
Auch machte Lucha deutlich, dass die verstärkten Nachwuchsbemühungen in der Pflege erste Erfolge zeigten. Die Schülerzahlen bei der Ausbildung hätten sich seit 2001 nahezu verdoppelt, so Lucha. Anders als Keck ist er auch der Ansicht, dass die Pflegeausbildung durch die Generalisierung, die der Bund beschlossen hat, attraktiver und durchlässiger wird.
Der Demografiebeauftragte Kunzmann hatte in seinem Bericht geschrieben, dass Demografie eine Querschnittsaufgabe sei, allgemein aber eine Versäulung festzustellen sei, wo vernetztes Vorgehen angebracht wäre. So sei es nicht ausreichend, „die Herausforderungen des demografischen Wandels hin zu einer älter werdenden Gesellschaft auf aktuelle Entwicklungen (Stichwort Fachkräftemangel) zu reduzieren oder zeitlich auf das Jahr 2030 zu begrenzen.
Als Handlungsfelder für ein Gesamtkonzept zum demografischen Wandel nannte Kunzmann generationenübergreifendes Wohnen und Bauen, nachbarschaftliche Bindungen, Sicherung von Nahversorgung und Stärkung von Ortsmitten, Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Breitbandausbau und Potenziale der Digitalisierung, Präventionsangebote und Sichern medizinisch pflegerischer Versorgung sowie Sicherheit und Schutz vor Kriminalität.