Wird Flüchtlingsproblematik doch zum Wahlkampfthema?

26.11.2015 
Von: Wolf Günthner
 
Redaktion
 

Stuttgart. Entgegen früherer Beteuerungen scheint die Flüchtlingsproblematik doch zum Thema im baden-württembergischen Landtagswahlkampf zu werden. Einen Vorgeschmack dazu lieferten sich die vier Fraktionen am Donnerstag in der aktuellen Debatte „Anpacken und handeln – Baden-Württemberg als Vorreiter bei der Umsetzung des Asylpakets“.

Dabei warf die Grünen-Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann der CDU vor, sie untergrabe das Vertrauen in der Bevölkerung. Winfried Mack (CDU) konterte, die Grünen würden ihre wahren Positionen verleugnen und mit „Tricksereien“ arbeiten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) habe kein Rückgrat und keinen Mut, bei den Grünen herrsche Selbstverleugnung und Planlosigkeit, konstatierte Mack. „Billige Polemik“ sah darin Claus Schmiedel; der SPD-Fraktionschef forderte die Opposition auf, keine Angst- und Bedrohungsszenarien  aufzubauen und „billigen Wahlkampf“ zu machen.  Die von den Grünen beantragte Debatte war für Andreas Glück (FDP) das Haschen nach Eigenlob. „Die Grünen wollen sich loben lassen. Lob ist jedoch nicht angebracht“, sagte der Liberale.

Kretschmann: Wir handeln schneller als andere Bundesländer

Kretschmann war um Sachlichkeit bemüht. Unausgegorene Vorschläge seien Gift für die öffentliche Stimmung, warnte er und wandte sich auch gegen „scheinradikale Lösungen“. Er bedauerte die fehlende Solidarität in Europa, die Staaten kämen ihren Verpflichtungen nicht nach. Der Zustand Europas mache ihm große Sorgen. Er forderte, ein Scheitern Europas in der Flüchtlingsfrage zu verhindern. Sonst drohe ein epochaler Rückfall in nationales Klein-Klein. Kretschmann erklärte, er verstehe und teile die Furcht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass Europa wegen der Flüchtlingsproblematik auseinanderbrechen könnte. Die Krise sei nur europäisch zu lösen, „sonst setzen wir Europa aufs Spiel", sagte Kretschmann.

Der Ministerpräsident sprach sich für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge anhand von Kontingenten für die 28 EU-Staaten aus. „Niemand darf glauben, dass die europäischen Länder mit 28 einzelnen Außenpolitiken in der globalisierten Welt etwas bewegen können“, konstatierte Kretschmann. Einseitig von Deutschland festgelegte Obergrenzen für Flüchtlinge seien aber unrealistisch und falsch und wären nur mit Mauern, Zäunen und militärisch gesicherten Grenzen umsetzbar. Wichtigste Aufgabe zur Lösung der „historischen Herausforderung“, für die es keinen Master-Plan gebe, sei vielmehr die Stabilisierung der Flüchtlingslager im Libanon, in Jordanien und in der Türkei.

CDU wirft Landesregierung Selbstzufriedenheit vor

In Baden-Württemberg stünden Land und Kommunen am Ende der Wirkungskette und in einer Verantwortungs-Gemeinschaft, erklärte der Regierungschef. Auf die Flüchtlingsströme habe das Land mit dem Ausbau der Unterkünfte auf das Vierzigfache reagiert. Baden-Württemberg setze den Asylkompromiss um.  „Als erstes Bundesland haben wir das Rückkehr-Management eingeführt und wir führen Menschen konsequent zurück. Wir handeln schneller als andere Bundesländer“, sagte Kretschmann. Alle Probleme würden angepackt und auch gelöst. Er kündigte an, die Verfahren von Menschen aus sicheren Herkunftsländern einschließlich der juristischen Verfahren künftig in 14 Tagen abschließen zu wollen. 

In der mehr als dreistündigen Debatte ergriffen die Fraktionschefs, der Ministerpräsident und Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) mehrfach das Wort. Guido Wolf (CDU) warf Grün-Rot „Selbstzufriedenheit“ vor und kritisierte den Ministerpräsidenten, er wolle oder könne die Kritik nicht verstehen. Wolf forderte eine Begrenzung der Zuwanderung: „Darauf wartet die Bevölkerung.“ Bei der Abschiebung, die reine Ländersache sei, bestehe „Optimierungsbedarf“. Die Bilanz von Grün-Rot beim Flüchtlingsthema bezeichnete er als „bescheiden“, weshalb er in Frage stellte, dass sich die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen „der Sorgen und Ängste der Menschen“ bewusst sei.

Öney: Opposition nörgelt, Regierung packt an

Hans-Ulrich Rülke (FDP) sah im Verhalten der Regierung einen „Eiertanz“. Mit Lob für die Kanzlerin wolle Grün-Rot nur Salz in die Wunden der CDU streuen. Das Rückkehr-Management ist für ihn Kosmetik: „Es klingt besser als Abschiebung.“ Rülke forderte die  moralische Unterstützung für haupt- und ehrenamtliche Helfer in der Flüchtlingsfrage.

Edith Sitzmann bezeichnete den Beitrag von Winfried Mack als „populistische Stammtischrede“ und fragte in Richtung CDU-Fraktion: „Wie stehen Sie zum C in Ihrem Parteinamen?“. Die Ängste und Sorgen der Bevölkerung müsse man ernst nehmen, dürfe sie aber nicht schüren. Noch sei die Grenze der Belastbarkeit nicht überschritten, sagte Sitzmann. Sie warf der CDU vor, sich mit den Angriffen auf die Landesregierung an die Seite von Horst Seehofer (CSU) und gegen die Bundeskanzlerin zu stellen. Das Flüchtlingsthema dürfe nicht zum Spielball im Wahlkampf werden.

Öney sagte, die Opposition „nörgelt und schimpft“ und die Regierung „packt an“. Trotz nach wie vor hoher Flüchtlingszugänge – im November 30 000 – mache das Land seine Hausaufgaben. Sie könne nicht sagen, wie lange die Krise dauern und wie sie sich entwickeln werde, sagte die Integrationsministerin.


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