Stuttgart. Eltern in Baden-Württemberg können auch weiterhin frei entscheiden, welche weiterführende Schule ihre Kinder besuchen wollen. Die Grundschulempfehlung bleibe nach wie vor unverbindlich, sagte die Grünen-Abgeordnete Sandra Boser am Mittwoch im Landtag und erklärte: „Am Ende zählt die Wahlfreiheit der Eltern, egal, ob die Grundschulempfehlung an der weiterführenden Schule vorgelegt werden muss oder nicht.“ Das Wahlrecht der Eltern werde nicht eingeschränkt, beteuerte auch Karl-Wilhelm Röhm (CDU).
Beide reagierten damit auf Befürchtungen der SPD-Fraktion, die unter dem Titel „Schränkt Gelb-Schwarz die Schulwahlfreiheit ein?“ eine Aussprache im Parlament beantragt hatte. Grün-Schwarz nehme jetzt die „Abzweigung in die Sackgasse der Schubladen“, kritisierte Daniel Born (SPD) die von Grünen und CDU geplante Reform, wonach die Grundschulempfehlung künftig der weiterführenden Schule verpflichtend vorgelegt werden soll. Die Vorgänger-Regierung von Grün-Rot hatte die verbindliche Grundschulempfehlung aus CDU-Regierungszeiten abgeschafft.
„Wir brauchen die richtige Beschulung für das Kind, damit es sich dort wohlfühlen und gemäß seinen Neigungen und Begabungen entwickeln kann“, rechtfertigte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) die von der Landesregierung vereinbarte Reform. Heterogenität und der Förderungsbedarf hätten zugenommen, was für Schüler, vor allem aber für Lehrer eine große Herausforderung sein. „Nein“, antwortete die Ministerin auf die Frage der SPD-Fraktion zur Einschränkung der Wahlfreiheit. „Im Gegenteil, wir legen die Grundlagen für eine fundierte Entscheidung der Eltern.“ Es sei wichtig, den Erziehungsberechtigten dabei zu helfen, die richtige Entscheidung für den Bildungsweg ihrer Kinder zu finden. Dennoch zähle selbstverständlich der Elternwille bei der veränderten Grundschulempfehlung. Ziel sei die „passgenaue Beschulung für alle Kinder“.
Mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung habe Grün-Rot zum Wohle des Kindes gehandelt, die Elternrechte gestärkt, die Beratung ausgeweitet und den Anliegen der Lehrer entsprochen. In acht von zehn Fällen seien Eltern bei der Schulwahl der Grundschulempfehlung trotz freier Schulwahl gefolgt. Mit der Vorlage der Empfehlung an die weiterführende Schule fürchteten nun Eltern, dass ihrem Kind in der neuen Schule nicht unvoreingenommen begegnet wird und eine „Schubladisierung“ stattfinde.
Sandra Boser wies die Befürchtungen zurück. Mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung und der Einrichtung von Gemeinschaftsschulen würden Kinder genau auf ihrem Leistungsniveau gefördert, sagte die Grünen-Schulexpertin. Und die Empfehlung habe künftig immer weniger Aussagekraft, da an Realschulen der Hauptschulabschluss angeboten werde, Kinder in Gemeinschaftsschulen auf einem Niveau unterrichtet würden und das Gymnasium bereits heute zu 85 Prozent von Eltern gewählt werde, deren Kinder eine Gymnasialempfehlung haben. Viel entscheidender als die Grundschulempfehlung seien die Lernstandserhebungen in Klasse 5, urteilte Boser.
Auch Karl-Wilhelm Röhm (CDU) wies darauf hin, dass das Wahlrecht der Eltern nicht eingeschränkt wird. Die Vorlage der Empfehlung schaffe vielmehr die „passende Förderung von Anfang an“. So erlaube der Verbund aus der Empfehlung und der Lernstandserhebung eine stabilere, pädagogische Einschätzung der Stärken und Schwächen des Kindes, er sei die richtige Grundlage für eine gezielte Förderung und Unterstützung des Kindes und drittens schaffe man eine Beratung von Anfang an.
Stefan Räpple (AfD) sprach sich für das gegliederte Schulsystem im Südwesten aus, um ein gewisses Maß an Homogenität im Unterricht zu gewährleisten. Er warf Grün-Rot vor, mit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung das langsame Aussterben der Haupt- und Realschule vorbereitet zu haben. Deshalb lehne die AfD den SPD-Antrag auf vollkommene freie Empfehlung ab.
Timm Kern (FDP) kritisierte die Abschaffung der verbindlichen Empfehlung, weil sie „überstürzt, unvorbereitet und ohne die notwendigen Begleitmaßnahmen“ vorgenommen worden sei. 2011 habe Baden-Württemberg die niedrigste Sitzenbleiberquote, die niedrigste Schulabbrecherquote und die niedrigste Jugendarbeitslosenquote gehabt. Seit Abschaffung der verbindlichen Empfehlung sei die Zahl der Fünftklässler an den Realschulen und Gymnasien enorm gestiegen. Die notwendige Verringerung des Klassenteilers an den fünften Klassen, Stütz- und Förderkurse wegen der gestiegenen Heterogenität seien nicht erfolgt. Deshalb sei es richtig, den weiterführenden Schulen vom ersten Tag an wichtige Informationen zu geben, mit welchen Voraussetzungen Kinder an die Schule kommen.