Stuttgart. Grün-Rot will die Bereitschaft zur Weiterbildung in Baden-Württemberg erhöhen und fördern. Mit dem von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) am Donnerstag in den Landtag eingebrachten Bildungszeitgesetz erhalten Beschäftigte einen Rechtsanspruch auf Freistellung an bis zu fünf Tagen im Jahr zur Teilnahme an Kursen zur beruflichen und politischen Weiterbildung sowie für die Qualifizierung zur Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeit. Dabei werden die Gehälter und Löhne von den Arbeitgebern und Dienstherren weiter gezahlt.
„Wir ergänzen damit das Erfolgsmodell der beruflichen Weiterbildung in Baden-Württemberg. Dies ist ein Bildungsgesetz fürs 21. Jahrhundert“, erklärte Schmid. Der Schwerpunkt und Vorrang liege aber weiter bei der betrieblichen Fortbildung. Das Gesetz sei nicht wirtschaftsfeindlich, argumentierte der Minister.
Schmid räumte ein, dass das Bildungszeitgesetz zwar eine Herausforderung für die Unternehmen sei, es aber keine Überforderung geben soll. Ein Freistellungsanspruch bestehe auch für Maßnahmen der Gesundheitsprävention im betrieblichen Interesse. Zu den voraussichtlichen Kosten für die Unternehmen sowie die staatlichen und kommunalen Arbeitgebern konnte der Minister keine Angaben machen. Es sei schwierig, Zahlen zu nennen. Dennoch seien nach den Erfahrungen anderer Bundesländer, die bereits ein solches Gesetz haben, die Beteiligungsquoten „relativ gering“.
Claus Paal (CDU) ist da anderer Meinung. Das Bildungszeitgesetz bringe das bestehende Gefüge durcheinander und gefährde dieses. Dieser staatliche Dirigismus sei wirtschaftsfeindlich; Grün-Rot mute den Tarifpartnerschaften eine „fatale Veränderung“ zu. „Ordnungspolitisch ist dies der völlig falsche Weg“, sagte Paal. Er wies auf die bisher schon bestehende Weiterbildungsquote von 61 Prozent in den Betrieben Baden-Württembergs hin; in der Metall- und Elektrobranche seien es sogar 86 Prozent. Das Gesetz gefährde die freiwilligen Leistungen der Unternehmen und schaffe Unfrieden in den Betrieben. Paal befürchtet auch, dass interne Weiterbildungen „unmöglich gemacht“ werden. Außerdem kritisierte er die Regierung, dass sie „Geld ausgibt, das ihr nicht gehört“. Die Unternehmen würden durch den bezahlten Bildungsurlaub mit Kosten „in ungeahnter Höhe belastet“.
Dagegen bewertete Andrea Lindlohr (Grüne) das Gesetz positiv. Wissen sei eine wichtige Ressource, „wir brauchen mehr Weiterbildung für Baden-Württemberg, diese reicht noch nicht aus“. Da die Weiterbildung Lohnfortzahlung koste, beinhalte das Gesetz einen Ausschlusskatalog, Klauseln für Kleinunternehmen bis 10 Beschäftigte sowie die Zertifizierung von Anbietern. Zudem seien Anrechnungsklauseln durch entsprechende Regelungen in Haustarif- und Branchentarifverträgen möglich. „Die berufliche Bildung hat Vorrang!, denn den Grünen sei die Sozialpartnerschaft am wichtigsten.
Hans-Peter Storz (SPD) bezeichnete die Bildungszeit als „gut für unser Land“. Damit würden auch Unternehmen im ländlichen Raum unterstützt, um motivierte Mitarbeiter zu gewinnen. Das Gesetz könne die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Da Storz das Ehrenamt in den Gemeinden „gefährdet sieht“, könne durch die Bildungsangebote auch das bürgerschaftliche Engagement „wertgeschätzt“ werden.
Dagegen ließ Hans-Ulrich Rülke (FDP) kein gutes Haar an dem Vorhaben. Nach der Landesbauordnung sei das Bildungszeitgesetz wieder ein Beweis für die Wirtschaftsfeindlichkeit der Landesregierung. Sie regele ein Problem, das „es gar nicht gibt“. Grün-Rot unterstelle der Wirtschaft, dass ihr Weiterbildung nicht wichtig sei. Dabei hätten 86 Prozent der Unternehmen in Deutschland betriebliche Weiterbildungsangebote und ließen sich diese 33,5 Milliarden Euro kosten. In Baden-Württemberg würden die Betriebe 4 Milliarden Euro dafür aufwenden. Der Liberale bezeichnete das Gesetz als „Politik gegen die Arbeitsplätze“ und Beitrag zur Bürokratieflut im Südwesten. Grün-Rot betreibe damit Klientelpolitik für Verdi und die Gewerkschaften; außerdem schaffe die Regierung einen Markt für Bildungsangebot, wie etwa Englisch auf Malta und ähnliches. Rülke kündigte an, das Bildungszeitgesetz bei einem Regierungswechsel 2016 „schon in den ersten 100 Tagen vom Tisch zu wischen“.
Zur weiteren Beratung verwies Landtagspräsident Wilfried Klenk (CDU) den Gesetzentwurf in den Finanz- und Wirtschaftsausschuss.
Von der Bildungsgewerkschaft GEW liegt bereits ein Änderungsantrag im Hinblick auf die Beschäftigten an Schulen und Hochschulen vor. Diese sollen nach der Vorlage von Grünen und SPD Bildungszeit nur in der unterrichts- beziehungsweise vorlesungsfreien Zeit in Anspruch nehmen können.
„Die Landesregierung macht sich unglaubwürdig, wenn sie die privaten Arbeitgeber in die Pflicht nimmt, aber es für über die Hälfte der eigenen Beschäftigten de facto keine Möglichkeit gibt, Bildungszeit in Anspruch zu nehmen. Lehrkräfte und Dozenten können die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts und andere außerunterrichtlichen Aufgaben nicht einfach ausfallen lassen und könnten so nur in einem Teil der Schul- beziehungsweise Semesterferien Bildungszeit nehmen. „Es gibt in den Ferien zudem kaum Angebote von anerkannten Trägern für Bildungsurlaub“, sagte die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz. Schulsozialarbeiter, pädagogische Assistent und Heimerzieher könnten nur Bildungszeiten in Anspruch nehmen, die in den Schulferien liegen. Ebenso betroffen sind etwa 20.000 Lehrkräfte an Privatschulen und 20.000 Dozent bei privaten Weiterbildungsträgern