Stuttgart. Baden-Württemberg muss in den nächsten Jahren mehr erneuerbare Energien erzeugen. Neben dem Strom aus dem windreichen Norden in den Südwesten und Importen sei es nötig, dass das Land die erneuerbaren Energien ausbaue, also Windkraft und Photovoltaik. Es bestehe erhöhter Bedarf, sagte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) am Mittwoch in einer von der AfD-Fraktion beantragten aktuellen Debatte.
Angesichts eines Stromverbrauchs von 76 Milliarden Kilowattstunden und der beschlossenen Abschaltung der Atomkraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim und der geplanten Stilllegung von Kohlekraftwerken urteilte der Minister, auf „eigene Erzeugung von Energie“ könne das Land nicht verzichten. Er gab auch zu: „Wir hinken hinterher.“ Der Strom müsse ja irgendwo herkommen. Steckdosen allein würden nicht weiterhelfen.
Untersteller sagte, der Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg sei eingebrochen. Er sei aber notwendig. Rückenwind verspricht er sich durch den jüngst vorgelegten Windatlas, nach dem an deutlich mehr Stellen Windenergie nutzbar sei – auf sechs Prozent der Landesfläche statt drei Prozent wie zuvor angenommen. Windkraft könne heute wirtschaftlich erzeugt werden und „damit kann Geld verdient werden“. Energie aus Windkraft und Photovoltaik sei inzwischen kostengünstig erzeugbar, bei der Technik habe sich „unheimlich viel“ getan.
Der AfD-Fraktionschef Bernd Gögel warf der Landesregierung vor, ihr Ziel, bis 2020 mindestens 10 Prozent der Energie aus Windkraft zu erzeugen, „meilenweit verpasst“ zu haben. Nur 720 Anlagen seien am Netz und erzeugten lediglich 3 Prozent des Stromverbrauchs. Baden-Württemberg sei Schwachwindland.
Gögel warf dem Umweltminister vor, den seit März vorliegenden Windatlas erst nach der Kommunalwahl vorgestellt zu haben. Dies sei „üble politische Trickserei“. Die Grünen seien vom Pfad der Tugend abgekommen, Umwelt- und Naturschutz sei ihnen nicht mehr so wichtig wie Klimaschutz. Millionen von Vögeln, Fledermäusen und Insekten würden Opfer der Windkraftanlagen.
Jürgen Walter (Grüne) wies die Kritik zurück. Das Insektensterben habe lange vor dem Ausbau der Windkraft begonnen, im Straßenverkehr und an Glasfassaden müssten wesentlich mehr Tiere ihr Leben lassen als an Windrädern. Aus Sicht von Walter widerlege der neue Windatlas, dass Baden-Württemberg kein Windland sei. Deshalb forderte er unter dem Applaus der Grünen-Fraktion einen „stärkeren Ausbau“ der Windkraft – die CDU-Fraktion verhielt sich still. Außerdem sagte Walter, man komme um eine CO2-Bepreisung nicht herum. Den Menschen solle die Belastung über einen niedrigeren Strompreis wieder zurückfließen. Der Grünen-Abgeordnete verwies auch auf den wirtschaftlichen Faktor der Erneuerbaren Energien; dadurch entstünden 350 000 Arbeitsplätze, der Klimaschutz sei ein Jobmotor.
Baden-Württemberg sei bei der Windkraft bundesweites Schlusslicht, konstatierte Paul Nemeth (CDU). Die Zukunft gehöre den erneuerbaren Energien und einem sinnvollen Energie-Mix. Dabei seien Windkraft und Photovoltaik „die günstigsten Energien“. Die CDU wolle Windkraft nicht um jeden Preis: „Wir wollen sie da, wo sie sinnvoll ist.“ Nemeth sprach damit die gesellschaftliche Akzeptanz an, zu der auch die 1000-Meter-Abstandsregelung von Windkraftanlagen zu bebauten Flächen gehöre. Der Windatlas mache Sinn und sei ein vernünftiges Instrument. Angesichts von nur 720 Windanlagen im Südwesten – deutschlandweit 30 000 – gab Nemeth zu, das gesteckte Ziel mit nur einem derzeitigen Anteil von 3,7 Prozent an der Stromerzeugung „nicht erreicht“ zu haben.
Auch die SPD steht zur Windkraft als Teil der Energiewende. Allerdings räumte Nicolas Fink ein, dass die „konkrete Umsetzung vor Ort nicht immer einfach ist“. Als ehemaliger Bürgermeister kennt Fink das Problem. Wenn Einzelinteressen massiv verfolgt würden, stehe das Allgemeininteresse oft hintan. Wenn Strom irgendwann klimaneutral erzeugt werden soll, müssten Wind- und Solarenergie den größten Anteil erbringen. Windkraft werde durch falsche Vorgaben bei den Ausschreibungen sowie Vorbehalte in vielen Kommunen und Landkreisen ausgebremst. „Leider sitzen Teile der Landesregierung hier ebenfalls im Bremserhäuschen“, stellte Fink fest. Baden-Württemberg brauche mehr Windenergie.
Als Träumerei apostrophierte Gabriele Reich-Gutjahr (FDP) das Ziel der Landesregierung, bis 2022 zehn Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Aus ihrer Sicht bräuchte man in Baden-Württemberg 2500 Windkraftanlagen, aktuell sind es 720. Auch sie monierte, dass Untersteller den Windatlas erst nach der Kommunalwahl vorgestellt habe. Kritisch sieht die FDP-Abgeordnete außerdem „die systematische Ausbootung des Wirtschaftsministeriums“ bei der Windkraft. Alles Ökologische werde in grüne Ministerien gezogen und die CDU mache keinen Gegenwind. Die FDP sei für Windenergie „dort, wo sie Sinn macht“ und mit einem Abstand von 1500 Metern zur Bebauung.