Landtag stärkt Rechte psychisch Kranker bei Fixierungen

05.06.2019 
Von: Wolf Günthner
 
Redaktion
 

Stuttgart. Der Landtag hat am Mittwoch einstimmig das von der Landesregierung eingebrachte Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verabschiedet. Damit wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018 umgesetzt, wonach längere Fixierungen von Patienten in der Psychiatrie nur noch mit der Genehmigung eines Richters erfolgen dürfen.

Das Gesetz stärkt die Rechte psychisch kranker Menschen. „Wir bewegen uns hier in einem besonders grundrechtssensiblen Bereich, den wir bislang nicht ausreichend gesetzgeberisch gestaltet haben. Wir haben uns deshalb intensiv mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befasst und beabsichtigen bis spätestens 30. Juni 2019 eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage für freiheitsentziehende Fixierungen zu schaffen“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Anfang Mai dieses Jahres die Initiative begründet.

Konkret ändert sich bei der Unterbringung von Patienten in der Psychiatrie Folgendes: Bisher reichten ein grundsätzlicher richterlicher Unterbringungsbeschluss und die konkrete ärztliche Anordnung aus, um Patienten zu fixieren. Dem widersprach im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil und legte fest, dass freiheitsentziehende Fixierungsmaßnahmen künftig direkt von einem Richter genehmigt werden müssen, wenn sie voraussichtlich länger als eine halbe Stunde dauern. „Außerdem ist das medizinische Personal künftig verpflichtet, Betroffene auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, ihre Fixierung nachträglich gerichtlich überprüfen zu lassen“, erklärte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) in der ersten Lesung im Landtag.

In seinem Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht dargelegt, dass die bisherige gesetzliche Grundlage zur Anordnung von Fixierungen nicht ausreiche, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich Rechnung zu tragen. Aus dem Freiheitsgrundrecht und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folge, dass eine ärztliche Entscheidung allein zur Anordnung einer länger andauernden Fixierung nicht ausreichend sei. Unter anderem müsse es künftig einen richterlichen Bereitschaftsdienst zwischen 6 und 21 Uhr geben, um diese Fixierungsmaßnahmen zu genehmigen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Land bis spätestens 30. Juni 2019 Gelegenheit gegeben, einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen.

Baden-Württemberg war das erste Bundesland, dass ein Melderegister für die Erfassung von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie eingeführte. Nach Paragraf 10 Absatz 3 des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes erfolgt hier eine landesweit zentrale Erfassung von Unterbringungsmaßnahmen und Zwangsmaßnahmen innerhalb anerkannter Einrichtungen in verschlüsselter Form. Auch Fixierungen untergebrachter Personen werden im Melderegister erfasst.

13.027 von 17.834 Fixierungen dauerten länger als eine halbe Stunde

Im Jahr 2017 wurden insgesamt 116.442 Fälle (Vorjahr: 110.319) gemeldet, darunter 17.834 Fixierungen (Vorjahr: 18.352), von denen 13.027 potenziell dem Richtervorbehalt unterfallende nicht nur kurzfristige Fixierungen darstellten (Vorjahr: 14.192).

Die Sprecher der fünf Fraktionen waren sich am Mittwoch darüber einig, dass die neuen Regelungen den Patientenschutz und das Recht psychisch Kranker stärken und die Bestimmungen außerdem auch im Interesse der in der Psychiatrie tätigen Mitarbeiter sind. „Wir haben die Rechte der Betroffenen gestärkt, der Richtervorbehalt ist jetzt in einer sehr sauberen Weise umgesetzt“, sagte Thomas Poreski (Grüne).

Der CDU war es nach Aussage von Claudia Martin sehr wichtig, dass alle betroffenen Akteure in einem umfassenden Beteiligungsprozess angehört wurden. „Auf diese Weise ist eine Novelle entstanden, die sowohl die Rechte des Patienten stärkt, als auch die schwierige Situation der Ärzte und Pfleger berücksichtigt hat“, konstatierte Martin.

Rüdiger Klos (AfD) sagte, das Gesetz stelle zwar eine Verbesserung zur bisherigen, nicht verfassungskonformen Praxis dar, optimal sei es jedoch nicht. Es gebe noch Entwicklungs- und Verbesserungspotenzial. Er schlug vor, eine optische und akustische Dokumentation ins Auge zu fassen, um eine spätere Beweislage zu garantieren. Ein Manko sei auch die fehlenden 24-Stunden-Bereitschaft.

SPD: Personalkosten für Justiz nicht ausgewiesen

Für die SPD kritisierte Rainer Hinderer, dass die Landesregierung zwar die Kosten für das Personal in der Psychiatrie, nicht aber für Justiz ausgewiesen habe, obwohl das Justizministerium bereits 20 Richterstellen für die Umsetzung des Gesetzes berechnet habe. In der Gesetzesabstimmung habe es der Sozialminister versäumt, mit der Finanzministerin die Folgenkostenfrage zu klären. Positiv bewertete der SPD-Gesundheitsexperte, dass das Gesetz mit Rechtssicherheit schaffe beim schwierigen Umgang mit Zwangsmaßnahmen wie der Fixierung.

Die sensible Thematik des Gesetzes sei mit großer Sorgfalt bearbeitet worden, erklärte Jochen Haußmann (FDP). Nach Hochrechnungen sei mit 7200 Fällen zu rechnen. Allerdings gelinge es mit gutem, qualifiziertem und ausreichendem Personal die Zahl der Fixierungen zu reduzieren.

Sozial-Staatssekretärin Bärbl Mielich (Grüne) wies darauf hin, dass es nicht nur eine reguläre Anhörung zum Gesetzentwurf gegeben habe, sondern für die Bevölkerung die Möglichkeit bestand, mithilfe des Beteiligungsportals der Landesregierung konkrete Stellungnahmen abzugeben. Zentrales Anliegen sei es, Fixierungen so weit wie möglich zu vermeiden.


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