Stuttgart. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hat am Mittwoch die Änderung des Schulgesetzes in den Landtag eingebracht. Dieses sieht als wesentliche Neuerungen die gesetzliche Verankerung der Ganztagsschule an Grundschulen sowie den Grundstufen der Förderschulen, die Beteiligung der Kommunen an den Kosten für die Betreuung und Aufsicht während der Mittagspause, die paritätische Besetzung der Schulkonferenz sowie die Neuordnung des Besetzungsverfahrens für Schulleiter vor.
Die Einigung mit den kommunalen Landesverbänden bezeichnete Stoch als „historischen Erfolg“ und sagte: „Mit dieser Einigung haben wir den Weg freigemacht für eine für Baden-Württemberg wesentliche qualitative Weiterentwicklung unseres Bildungssystems.“ Verbände aus allen gesellschaftlichen Bereichen würden die Verankerung der Ganztagesschule im Schulgesetz befürworten.
Um den Ausbau schnell voranzubringen, sei es Schulträgern und Schulen möglich, bereits zum kommenden Schuljahr den Ganztagsbetrieb nach dem neuen Konzept einzurichten. Mehr als 180 Grundschulen hätten – zu den 370 im Betrieb befindlichen – bereits die Umstellung beantragt. „Unser Ziel ist es grundsätzlich, künftig jedem Schüler ein Ganztagsschulangebot in erreichbarer Nähe zur Verfügung zu stellen“, erklärte der Kultusminister. Kern der Neuregelung sei die große Flexibilität und Wahlfreiheit, damit man vor Ort die passenden Konzepte entwickeln könne. Die Angebote seien an drei oder vier Tagen über sieben oder acht Zeitstunden sowohl in verbindlicher Form als auch in offener Wahlform möglich. „Bei der Wahlform können Eltern entscheiden, ob ihr Kind für mindestens ein Jahr am Ganztagsbetrieb teilnimmt. Bei der verbindlichen Form wird, wenn kein offenes Angebot möglich ist, die gesamte Schule verpflichtend auf Ganztagsbetrieb umgestellt“, betonte Stoch.
Ob und in welcher Form ein Ganztagsangebot eingerichtet wird, entscheiden immer die Schulträger gemeinsam mit der jeweiligen Schulkonferenz, erläuterte der Minister sein neues Konzept. Die Schulkonferenz ist künftig paritätisch mit Schülern, Eltern und Lehrern besetzt – für Stoch eine „gleichberechtigte Teilhabe aller relevanten Gruppen, die zu mehr Demokratie in der Schulgemeinschaft beitrage. Bei der Besetzung von Schulleiterstellen werden Schulkonferenz und Schulträger früher – und nicht wie bisher am Ende des Bewerbungsverfahrens – eingebunden. Eine Auswahlkommission, besetzt mit zwei Vertretern der Schulaufsicht und je einem Verträger der Schulkonferenz und des Schulträgers, wird künftig von Beginn an den Prozess begleiten.
Die Einbindung außerschulischer Partner aus den Bereichen Sport, Musik, Kunst und Jugendarbeit beim Ganztagsschulkonzept sei ein wichtiger Bestandteil, sagte Stoch. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bekomme dadurch einen neuen Stellenwert. Bei dieser Beurteilung bekam der Minister Zustimmung von Sandra Boser (Grüne).
Sie argumentierte außerdem mit der Bildungsgerechtigkeit durch ein rhythmisiertes Ganztagsangebot. Auch Kindern, die aus sozial schwierigen Strukturen kommen, müssten soweit wie möglich gleiche Chancen bekommen. Die Ganztagsgrundschule sei der nächste Schritt in der grün-roten Bildungspolitik – nach dem Ausbau der Kleinkindbetreuung, den Schulsozialarbeitern, den Investitionen in Poolstunden und der Erhöhung der Bildungsausgaben um 18 Prozent pro Schüler. Boser bewertete auch die Drittel-Parität bei der Besetzung der Schulkonferenz positiv. Sie teile nicht die Bedenken der Lehrer und des Philologenverbandes, dass dadurch über die Köpfe der Lehrer hinweg beschlossen werde: „Das ist vielmehr ein wichtiges Gremium, das eben auch gemeinsam Schule gestalten kann.“
Es bestehe im Grundsatz Einigkeit bezüglich des Ausbaus der Ganztagsschulen, sagte Georg Wacker (CDU) – vorausgesetzt, dieser erfolge bedarfsorientiert und die Schulen orientierten sich an den Bedürfnissen vor Ort. Zwischen 2002 und 2010 seien schon 1115 öffentliche Ganztagesschulen mit 1800 Unterrichtsdeputaten eingerichtet worden. Stochs Konzept sehe 1920 Deputate vor. „So groß ist der Unterschied nicht“, urteilte Wacker. Er verwies auf eine Umfrage, wonach 87 Prozent der Eltern ein flächendeckendes Ganztagsangebot wollen, wenn dieses freiwillig ist. Denn ein Ganztagskonzept müsse auch den unterschiedlichen Lebensentwürfen Rechnung tragen. Er forderte deshalb, „nicht durch die Hintertür“ verpflichtende Ganztagsschulen einzuführen. Außerdem bezeichnete es Wacker als Fehler, dass die Ganztagsschulen nicht in die regionalen Schulentwicklungspläne aufgenommen wurden.
Timm Kern (FDP) befürchtet eine „grün-rote Zwangsbeglückung“ durch Pflicht-Ganztagesschulen. In Richtung Grüne kritisierte er: „Sie geben vor, was für Andere richtig ist.“ Das neue Gesetz sei ein „mutloses und halbherziges Reförmchen“. Kritisch beurteilte er auch, dass das Kultusministerium die Vereinbarung mit dem Sport Monate früher abgeschlossen habe als jene mit den anderen Verbänden.
Mit dem Ganztagesangebot an Grundschulen ist Grün-Rot noch nicht am Ende der Reformen. „Eine Ausweitung auf andere Schulformen werden wir sicher noch diskutieren“, sagte Klaus Käppeler (SPD). Die bisherige Zielmarke sind aber ein Ganztagsbetrieb an 70 Prozent der Grundschulen bis 2023, an dem die Hälfte der Schüler teilnimmt. Dies erfordere einen Ressourcenrahmen von 147 Millionen Euro.
Käppeler begrüßte den Boom auf die Ganztagsmöglichkeiten: Gab es im Schuljahr 2012/13 an lediglich 336 von 2556 Grundschulen solch ein Angebot, bewarben sich für das kommende Schuljahr und das neue Konzept 181 Schulen. 167 wollen den Betrieb in Wahlform und 14 Schulen in verbindlicher Form einführen. Der ehemalige Schulleiter Käppeler brach auch eine Lanze für die Drittelparität in der Schulkonferenz; dass der Philologenverband darin eine „Entmachtung“ der Lehrer sehe, werfe ein bezeichnendes Licht auf die Interessenvertretung der Gymnasiallehrer. Dabei seien auch Lehrer in ihrer Funktion Dienstleister für die Gesellschaft.