Stuttgart. Das Bundesteilhabegesetz soll in Baden-Württemberg umgesetzt wird. Ziel der Gesetzesinitiative sei die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, weg vom hergebrachten, institutionszentrierten Fürsorgeprinzip, hin zu einem modernen, personenzentrierten Teilhaberecht, sagte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) am Mittwoch bei der Einbringung in den Landtag. „Die Betroffenen rücken in den Mittelpunkt. Es geht um ihre Bedürfnisse und ihrer Bedarfe“, erklärte der Minister. Inklusion werde noch stärker verankert, dies sei ein Paradigmenwechsel.
„Wir wollen, dass Menschen mit Behinderung ganz normal und möglichst selbstbestimmt am Leben teilhaben“, sagte Lucha. Diese sollten sich aussuchen können, wo und wie sie wohnen; und sie sollten auch besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Alles solle „nur im Dialog“ gemeinsam mit den Betroffenen, den Leistungsträgern und den Leistungserbringern geschehen.
Lucha erläuterte die wichtigsten Punkte des Gesetzes. Im Wesentlichen gehe es um die Träger der Eingliederungshilfe, deren Leistungen auch weiterhin die Stadt- und Landkreise erbringen. Die Kreise hätten nicht nur wertvolle Erfahrungen, dort würden auch die Leistungsberechtigten versorgt. Außerdem gehe es um die Rahmenverträge in der Hilfe; hier sei zunächst erforderlich, die Stellen gesetzlich zu bestimmen, die die Rahmenverträge abschließen können. Auf Wunsch der kommunalen Landesverbände sollen Landkreise weiterhin die Eingliederungshilfe auf kreisangehörige Gemeinden delegieren können. Zudem könne der Kommunalverband für Jugend und Soziales die Träger der Eingliederungshilfe beim Abschluss von Vereinbarungen beraten und unterstützen. Lucha will, dass für alle Behinderten garantiert ist, dass „dieselben Lebensgrundlagen und dieselben Bedarfe anerkannt werden und landesweit keine Uneinheitlichkeit entsteht“. Das Motto laute: „Nichts über uns ohne uns.“
Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes sei „eine große Herausforderung, auch finanziell“, konstatierte Lucha. Deshalb habe das Land freiwillige Ausgleichszahlungen an die Stadt- und Landkreise von knapp 22 Millionen Euro vorgesehen.
Thomas Poreski (Grüne) sprach von einem „sozialpolitischen Meilenstein“. Das Behindertenrecht werde aus der Sozialhilfe herausgenommen, damit Behinderte nicht mehr „arme Fürsorgeempfänger sind“. Das neue Gesetz stelle Weichen, habe aber nicht den Anspruch, alle Fragen bis zum Jahr 2020/2023 abschließend zu beantworten. Richtig sei es, die Stadt- und Landkreise als zentrale Akteure zu belassen. Im Gesetz ausdrücklich offen blieben Fragen wie die Leistungsbereiche Arbeit, Wohnen, soziale und kulturelle Teilhabe abgebildet werden, welche Rolle Zeit, Fachlichkeit und Tarifbindung spielen, wer den Bedarf erhebe und in welcher Struktur.
Der Gesetzentwurf schaffe landesweit Voraussetzungen, um in der Alltagspraxis mit dem Bundesteilhabegesetz umzugehen, stellte Ulli Hockenberger (CDU) fest. Vorausgegangen sei eine breit angelegte Anhörung von allen Betroffenen. Die CDU begrüße es, dass Stadt- und Landkreise weiterhin als Träger der Eingliederungshilfe fungieren. Seine Fraktion stehe dazu, dass künftig keine Leistungserbringung nach Kassenlage oder Wohnort erfolge. „Die 80 000 betroffenen Menschen haben darauf einen Anspruch“, sagte Hockenberger. Die erste Stufe der Reform sei gelungen, zum 1. Januar 2020 folge die nächste und die entscheidende werde 2023 kommen.
Carola Wolle (AfD) äußerte sich weniger optimistisch. Schon gegen das Bundesgesetz seien massive Gegenstimmen laut geworden. „Betroffene und Fachverbände befürchten erheblich mehr statt weniger Bürokratie“, sagte die AfD-Abgeordnete. Eine wirkliche Teilhabe von Behinderten sei nicht erfolgt; mit der Umsetzung auf Landesebene stünde es nicht besser. Hier sei ein „starres, unflexibles Bürokratiemonster“ geschaffen worden, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Kosten, die den Kommunen aufgedrückt würden. Das Land stelle diesen zwar 22 Millionen Euro zur Verfügung, der tatsächliche Mehraufwand belaufe sich laut dem Kommunalverband für Jugend und Soziales aber auf 150 Millionen Euro. Wolle sagte, der Landkreistag habe gefordert, dass das Land die Kreise bei der Unterstützung von Behinderten nicht im Stich lässt. „Doch genau dies ist hier der Fall.“
Rainer Hinderer (SPD) begrüßte es, dass das Bundesteilhabegesetz „jetzt endlich“ in die verbindliche Umsetzung auf Landesebene komme. Wichtig sei, dass die Stadt- und Landkreise und für bestimmte Aufgaben auch der Kommunalverband für Jugend und Soziales als Träger benannt werden. „Wer anders sollte die Aufgaben bei uns wahrnehmen als diejenigen, die das in den letzten Jahren gemacht machen?“, fragte der SPD-Abgeordnete. Kein guter Regierungsstil sei es, die Kommunen auf den Mehrkosten sitzen zu lassen. Im Ausschuss werde seine Fraktion versuchen, die Grundlage für einen Konsens herzustellen. Hinderers Vorwurf: Die Landesregierung regele mit dem Gesetzentwurf nur das, was zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes aktuell unbedingt nötig sei.
Auch Jürgen Keck (FDP) urteilte, das Gesetz müsse im Sozialausschuss ausführlich diskutiert werden, „damit es wirklich gut wird“. Knackpunkte seien die Konnexität sowie die von Behinderten geforderte Drittelparität bei den neuen Rahmenverträgen. Die Verbände seien jedoch keine Vertragsparteien und die Gestaltung der Mitwirkungsrechte liege nicht auf Landes-, sondern auf Bundesebene. Außerdem fehle bei den Leistungserbringern die private Seite, für Keck „völlig unakzeptabel“. Im Ausschuss müsse auch sichergestellt werden, dass die Bedarfsfeststellung objektiv und sachgerecht erfolge.