Stuttgart. Brexit, Paradise Papers, Weißbuch und Flüchtlinge hießen die europapolitischen Themen am Mittwoch im Landtag. Dabei machten Grüne, CDU, SPD und FDP deutlich, dass sie zur EU stehen. Die AfD stellte dagegen die Fortexistenz der Gemeinschaft in der derzeitigen Form infrage.
Josef Frey (Grüne) eröffnete den Reigen mit drei Forderungen, die Brüssel umsetzen soll, um Steuervermeidungsstrategien à la Paradise Papers einen Riegel vorzuschieben. Ein öffentliches Transparenzregister müsse her, das die wahren Besitzer der Firmen benenne. Dies werde von der Kommission auch gefordert; allein die Nationalstaaten bremsten bis dato. Zweitens müsse ein EU-weites Unternehmensstrafrecht her. Und drittens müssten die Unternehmen „country by country“, also Mitgliedsstaat für Mitgliedsstaat, erklären, wo sie Gewinne erzielen und wo sie diese versteuern. Ein anderes Mittel, der Steuervermeidung Herr zu werden, könne ein Mindeststeuersatz sein. Baden-Württemberg als starke Wirtschaftsregion habe „ein elementares Interesse, dass Steuern dort bezahlt werden, wo die Gewinne gemacht werden“.
Joachim Kößler (CDU) beschäftigte sich in seiner Rede mit dem Brexit, der Flüchtlingspolitik und der Zukunft der EU. Er lobte die Landesregierung dafür, dass sie frühzeitig einen Folgenabschätzungsbericht erstellt habe, was den Austritt Großbritanniens aus der EU angeht. Im Übrigen sei jedoch wenig geklärt. Kößler befürchtet, dass die Briten es darauf anlegen, eine Minute vor zwölf zum Abschluss zu kommen. Dies sei „zum Schaden der Menschen in Europa“. Er rechnet mit Wachstums- und Wohlstandsverlusten. Das Thema Flüchtlingspolitik bereitet Kößler Sorgen. Nach wie vor würden zu wenige Menschen in ihre Heimat zurückkehren. Außerdem brauche es einen Verteilungsschlüssel; EU-Staaten und Transitländer müssten unterstützt werden. Bei der Fortentwicklung der EU wiederum setzt er auf die „Willigen“ – sie müssten voranschreiten. Kößler ergänzte zum Thema Paradise Papers: „Es geht nicht an, dass der Bürger monatlich seine Steuern zahlt, und andere tun das nicht.“
Für Heiner Merz (AfD) ist das Weißbuch, mit dem die Weiterentwicklung der EU vorangetrieben werden soll, „nur Augenwischerei“. Das Ziel – eine Stärkung von Brüssel – stehe längst fest. Die geplante Sozialunion werde dem Motto folgen: „Deutschland zahlt und die Party kann weitergehen.“ So würden wirtschaftliche kranke Strukturen zementiert. Merz sprach sich für ein Referendum über das Weißbuch aus. Das Volk müsse gefragt werden, wenn es um die Abtretung nationaler Rechte gehe.
Peter Hofelich (SPD) zog eine positive Bilanz der vergangenen Monate. „Europa fasst Tritt“, sagte er. Das Europaparlament zeige „zunehmend politische Kante“. Er sprach sich für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik aus. Wer da nicht mitziehe, dem müssten als Ultima Ratio die Zuschüsse gekürzt werden. Sanktionen empfiehlt auch für Länder, die Steuerschlupflöcher schaffen. „Wir brauchen in der Steuerpolitik eine europäische Antwort“, resümierte der Sozialdemokrat.
Gerhard Aden (FDP) zeichnete ein optimistisches Bild der EU ohne Großbritannien. Seiner Ansicht nach ist der Brexit eine Chance für Kontinentaleuropa. Er glaube nicht an einen Unfall der Geschichte, was das Nein der Briten zu Europa angeht. Der Ausstieg der Insel besitze vielmehr „historische Konsequenz“. „Nur innerhalb der EU ist es möglich, dass Deutschland eine Zukunft in Frieden und Freiheit haben kann“, ergänzte der Liberale. Deutschland müsse freilich aufpassen, nicht als Hegemon wahrgenommen zu werden.
Für den fraktionslosen Abgeordneten Wolfgang Gedeon dagegen ist die EU ein Auslaufmodell. Das Weißbuch sei „ein zentralistischer Generalangriff“ und „eine Kampfansage gegen die Nationalstaaten. Dies wollte die Bürger nicht. Gedeon plädierte dagegen zur Rückkehr zu einer vertieften Freihandelszone.
Für Europaminister Guido Wolf (CDU) geht es in Europa derzeit in erster Linie darum, den Brexit zu meistern. Zehn bis zwölf Milliarden Euro würden Brüssel fehlen, wenn Großbritannien die EU verlässt. Dies könne noch zu Problemen führen: EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger gehe davon aus, dass das Loch zur Hälfte durch Minderausgaben gestopft werden könne; die verbliebene Differenz müsse aus den Mitgliedsstaaten kommen. Ausführlich ging der Europaminister auf die Situation in Ungarn, das er jüngst besucht hat. Er stellte positiv heraus, dass in Ungarn niemand die Absicht habe, die EU zu verlassen. Gleichwohl bereiten ihm die „vollkommen andere“ Einstellung der Ungarn zur Flüchtlingsfrage Sorgen. „Ohne Solidarität wird die Flüchtlingskrise zu einer Krise der EU“, sagte Wolf voraus. Der Christdemokrat vermisst in dem Zusammenhang eine klare Positionierung aus Berlin. Europa sei „auf hoher und schwieriger See“. Das zeige auch die Auseinandersetzung in Katalonien. Baden-Württemberg könne dabei einen Beitrag leisten – indem das Land darauf verweist, welche Vorteile es hat, auf Föderalismus statt auf Separatismus zu setzen.