Stuttgart. Ist Baden-Württemberg ein „Analogistan“, wie es die „Wirtschaftswoche“ apostrophiert hat? Oder ist der Südwesten bei der Digitalisierung „weiter als die meisten Länder“, wie Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Donnerstag bei der Einbringung des Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes feststellte? Vermutlich liegt die Antwort in der Mitte, wie die Ausführungen der Fraktionen in der ersten Lesung zeigen.
Strobl, der in der Landesregierung für die Digitalisierung zuständig ist, lobte die Novelle in höchsten Tönen. Beim Thema Digitalisierung der Verwaltung sei „zu wenig passiert“, doch der Wandel sei rasant. Die Zukunft sei digital, deshalb werde auch die Verwaltung digitaler. E-Government sei kein Thema für Spezialisten, sondern gehöre auch in die Mitte politischen Handels, sagte Strobl. Eine moderne Verwaltung müsse genauso digital arbeiten wie die Bürger oder die Wirtschaft.
Durch das Gesetz wird zunächst eine europarechtliche Vorgabe vom April 2014 über die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen, der E-Rechnungsrichtlinie, verbindlich umgesetzt. Der Innenminister berichtete, dass die Landesverwaltung jährlich bis zu drei Millionen Rechnungen erhält. Mit dem Gesetz wird eine für alle öffentlichen Auftraggeber des Landes, Sektorenauftraggeber sowie für mit Zahlungen verbundene Konzessionsverträge gleichermaßen verbindliche Rechtsgrundlage zum Empfang elektronischer Rechnungen geschaffen.
Für Kommunen und diesen zuzuordnenden sonstigen Auftraggeber gilt die Verpflichtung nur im oberschwelligen Vergabebereich. Der Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungen liegt derzeit bei 221 000 Auftragsvolumen, bei Bauleistungen bei 5 548 000 Euro. Auf Basis des Gesetzes wird Bürgern und Unternehmen ferner ermöglicht, mit einem einzigen Servicekonto Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen in Anspruch zu nehmen. Zudem werden die Landesbehörden verpflichtet, geeignete elektronische Möglichkeiten zur Zahlung von Gebühren oder die Begleichung sonstiger Forderungen bei elektronisch abgewickelten Verwaltungsverfahren anzubieten. „Das Land sorgt für rechtssichere Angebote“, erklärte Strobl.
Aus Sicht der Grünen gibt es keine Einwendungen gegen den Entwurf, der zur weiteren Beratung in den Innenausschuss verwiesen wurde. Die Anpassungen seien zwingend, sagte Bettina Lisbach (Grüne), das Land habe auch Vorbildfunktion und alles diene auch der Entbürokratisierung. Mit E-Government bereite das Land den Weg zu einer „offenen Verwaltungskultur“; die Kontaktaufnahme mit der Verwaltung werde erweitert. Das Gesetz sei auch aus dem Aspekt Nachhaltigkeit zu begrüßen, denn es werde weniger Papier und Fläche verbraucht.
Auch Ulli Hockenberger (CDU) registrierte „Aufregungspotenzial gegen Null“ bei der Beratung. Das Gesetz bringe Kostenersparnis sowie wichtige Vorteile für die Bürger, alle Verwaltungsdienstleistungen könnten künftig elektronisch erledigt werden. Klaus Dürr (AfD) sprach von einer „Formalie“, kritisierte aber die lange Verzögerung der Umsetzung der EU-Richtlinie, was „schädigend für die Wirtschaft“ sei. Deutschland stehe bei der Digitalisierung nur auf Platz elf in der EU. Dürr sieht noch Schwierigkeiten bei der Umsetzung: Viele Kommunen hätten noch nicht die Voraussetzungen für die Digitalisierung.
Rainer Stickelberger (SPD) outete sich als „Sympathisant“ der Digitalisierung. Vom Spitzenplatz der Bundesländer und in Europa sei Baden-Württemberg „noch meilenweit entfernt“. Er bedauert, dass die elektronische Verarbeitung der elektronisch eingehenden Rechnung nicht erfolgt. Nachholbedarf sieht er auch für Angebote außerhalb der Öffnungszeiten. Zudem sei wichtig, die Mitarbeiter in der Verwaltung digital zu schulen.
Timm Kern (FDP) warf der Landesregierung „große Unprofessionalität“ und „krachendes Scheitern“ bei der Digitaloffensive vor und sprach davon, dass Grün-Schwarz auf den „rauchende Trümmer“ der gescheiterten Bildungsplattform stehe. Vollständige Abwicklung online sei nicht möglich, nach wie vor müsste Papier herhalten, etwa bei Studienarbeiten oder Baugesuchen. Frontal griff der Liberale den Innenminister an: Strobl kümmere sich zu wenig, die Regierung Kretschmann II agiere „ohne jede Ambitionen“. Baden-Württemberg werde weit unter Wert regiert, bei der Digitalisierung verschlafe man wichtige Zeit. Kern forderte ein eigenes Digitalisierungsministerium, in dem kreative Köpfe, professionelle Experten und agile Management-Methoden zusammenkommen. „Unser Industriestandort von Weltruf kann sich die Provinzialität dieser grün-schwarzen Landesregierung beim Thema Digitalisierung nicht leisten“, sagte der FDP-Abgeordnete.