STUTTGART. Ausdrücklich ohne aktuellen Anlass hat die CDU eine Landtagsdebatte über „Paralleljustiz – eine Herausforderung für den Rechtsstaat in Baden-Württemberg?“ beantragt. Daran ändere, wie Innenpolitik-Experte Arnulf Freiherr von Eyb betonte, auch die Überschrift der Bild-Zeitung „Scharia-Schade in unserem Land" nichts. Vielmehr bezog er sich auf eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg, wonach es Paralleljustiz auch in Baden-Württemberg gebe, „aber nicht in einem beunruhigendem Maß“. Dafür sei nicht nur eine gute wirtschaftliche Situation verantwortlich, sondern auch „das konsequente Eintreten der CDU in Fragen der Sicherheitsstruktur“.
Justizminister Guido Wolf werte die Debatte als Zeichen dafür, wie ernst der Landtag das Thema nehme: „Wir lassen es nicht zu, dass sich einzelne Milieus vom Rechtsstaat abwenden und ihre eigenen Regeln schaffen.“ Baden-Württemberg sei aber nicht Berlin, sagte der Minister, „und auch von den Zuständen in Nordrhein-Westfalen wir weit entfernt.“ Die Studie zeige, dass die linksautonome Szene genauso betroffen wie Rechtsradikale, ebenso wie Hochzeitsgesellschaft, die „voller Aggressivität“ Autobahnkreuzungen blockierten oder die Rockkriminalität, Subkulturen in Gefängnissen, ethnische Milieus oder der islamische Bereich. „Der Rechtsstaat darf auf keinem Auge blind sein“, so Wolf, der versprach sich gerade im Zuge der Haushaltsberatungen mit den analysierten Herausforderungen zu befassen. Außerdem kündigte er an, „bei Delikten wie Beleidigung und Körperverletzung die Verweisung auf den Privatklageweg zu reduzieren“. Wolf hatte zu Beginn der Woche eine Studie vorgestellt, wonach das Phänomen im Südwesten zwar existiert, aber die Lage lange nicht so dramatisch ist wie in anderen Bundesländern. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass sich ein starker Rechtsstaat auszahle, sagte Wolf.
Jonas Weber (SPD) griff einzelne Handlungsempfehlungen auf. „Ein Punkt ist mir dabei besonders wichtig“, so der Rastatter Abgeordnete, „der Schutz der Opfer, denn ihre Sicherheit muss an erster Stelle stehen.“ Hier zeige die Studie Lücken im Zeugenschutzprogramm oder bei den Möglichkeiten der Unterbringung in Frauenhäusern. Dem dringenden Bedarf an mehr Unterbringungsplätzen müsse deshalb Rechnung getragen werden. Außerdem appellierte Weber an den Justizminister, das Problem der massiven Zeugenbeeinflussung im Vorfeld von Gerichtsverfahrens aufzugreifen. Die Staatsanwaltschaften müssten sensibilisiert werden, gerade bei Fällen im Rockermilieu. Weber befasste sich ferner mit der AfD, weil „eine zusätzliche, nicht abzuschätzende Gefahr gemeinsamer Aktionen von radikalen Gruppen und rechtsradikalen Extremisten und prominenten Vertretern einer in vielen Parlamenten vertretenen Partei“ bestehe, wie es in der Studie heißt.
Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Nico Weinmann nannte die Studie aufschlussreich, weil sie offenbare, „dass der Rechtsstaat von ganz unterschiedlichen Seiten nicht respektiert wird“. Auch wenn Baden-Württemberg im Bundesvergleich „noch verhältnismäßig gut dasteht, dürfen die Probleme nicht wegdiskutiert werden“. Es gelte, „einer schleichenden Erosion der Bedeutung des Rechtsstaates entschieden entgegenzutreten“.
Für die AfD-Fraktion ist das Thema Paralleljustiz „untrennbar verbunden mit dem Thema Parallelgesellschaften“, wie Rüdiger Klos erläuterte. Gerade hier stoße man „auf jede Menge mehr oder minder brauchbare Experten, Stellungnahmen und Auswertungen, denen ein Grundfehler gemeinsam ist: Es wird mit einem vorauseilenden Entschuldigungsgehorsam nach allen möglichen Ausreden gesucht, um die Taten der Täter zu relativieren und die Täter sogar zu exkulpieren“. Es sei ein regelrechtes Wettrennen der „Migrationshintergrundversteher“ ausgebrochen.
„Wir haben glücklicherweise nur Einzelfälle in Baden-Württemberg“, erklärte dagegen Jürgen Filius (Grüne) und hob vor allem hervor, dass es gerade keine verfestigen Strukturen in Baden-Württemberg gebe. Daneben gebe es eine entscheidende Erkenntnis, und man solle nicht glauben, dass die überhaupt betont werden müsse „Paralleljustiz ist milieuspezifisch und nicht an Ethnien oder an Religionen gebunden“. Und er erinnerte daran, dass der Stand der Zivilisation einer Gesellschaft am Umgang mit Straftäterinnen und Straftätern zu erkennen sei“. Diesen Stand „werden die Grünen mit aller Kraft verteidigen“.