Kretschmann warnt vor Überforderung

01.10.2015 
Redaktion
 

Stuttgart. Mehr als vier Stunden hat sich der Landtag am Donnerstag Zeit genommen, um die Herausforderungen durch die immer weiter steigende Zuwanderung nach Baden-Württemberg zu debattieren. Wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in seiner Regierungserklärung betonten die Redner aller Fraktionen die Gefahr der Überforderung. Die Opposition übte scharfe Kritik an der „Konzeptionslosigkeit“ der Landesregierung. Gerade aus den Reihen der CDU gab es allerdings auch Applaus für den Regierungschef – nicht nur bei seinem Lob für die Bundeskanzlerin.

„Weder wir in Baden-Württemberg noch wir in Deutschland werden die steigende Zahl an Flüchtlingen allein bewältigen und schon gar nicht die Fluchtursachen wirksam bekämpfen können“, so Kretschmann, der die Lage im Nahen Osten als „dramatisch“ bezeichnete. Im Libanon hätten 1,2 Millionen Syrer Zuflucht gefunden, in der Türkei befänden sich über zwei Millionen Flüchtlinge, in Österreich seien 32.000 Syrer, Iraker und Afghanen, in Kroatien 26.000 und in Serbien 8.000. „Zu uns kommen inzwischen Tag für Tag 2000 Menschen“, erläuterte der Ministerpräsident, weshalb die Situation gar nicht anders zu bewältigen sei „als im Krisenmodus“.

Genau diese Erklärung mochten die Fraktionsvorsitzenden Guido Wolf (CDU) und Hans-Ulrich Rülke (FDP) nicht durchgehen lassen. Seit vielen Monaten seien Vorschläge der Opposition abgelehnt worden. Wolf beklagte vor allem, dass viel zu oft „erst im Nachhinein“ gehandelt worden sei. Kretschmann sei „ein Getriebener“. Konkret verlangte der CDU-Spitzenkandidat, mehr Flüchtlinge in ihre Heimat abzuschieben und ihnen die Termine nicht anzukündigen, um ihnen nicht ein Untertauchen zu ermöglichen. Rülke rechnete vor, 2010 habe es bei 4.753 Flüchtlingen 843 Abschiebungen gegeben, im laufenden Jahr würden 100.000 Flüchtlinge in Baden-Württemberg erwartet, bisher aber nur 1.644 Abschiebungen gezählt: „Bei Ihnen hat sich die Flüchtlingszahl verzwanzigfacht, aber die Abschiebungen gerade mal verdoppelt."

Rülke will Visumpflicht wieder einführen

Eine konkrete Idee des FDP-Fraktionschefs verdeutlichte allerdings auch die Komplexität des Themas. Rülke verlangte eine Wiedereinführung der Visumpflicht für die jetzt als sichere Herkunftsstaaten eingestuften Balkanländer. Diese hatten aber den zum Teil schon vor Jahren geschlossenen Abkommen zur Übernahme rückgeführter Flüchtlinge überhaupt nur zugestimmt, weil die Visapflicht abgeschafft worden war.

Kretschmann betonte die Bedeutung des Grundrechts auf Asyl ebenso wie die Notwendigkeit, dass alle Zuwanderer die Verfassung akzeptieren müssten. Die deutsche Gesellschaft gebe ihrerseits auch „einen Vertrauensvorschuss, wir investieren in die Zukunft der Menschen, die zu uns kommen, wir leben eine Willkommenskultur, aber wir erwarten im Gegenzug Leistungsbereitschaft, Anstrengung, Verantwortungsbereitschaft und Integrationswillen“. Die Redner aller Fraktionen betonten die Notwendigkeit, stärker als bisher in Integration, Bildung und Wohnungsbau zu investieren.

Schmiedel wirbt für Verständnis für Syrer

Claus Schmiedel verlangte für SPD, die Hilfe vor Ort, in den Nachbarländern Syriens, zu verstärken. Hunderttausende Menschen lebten unterversorgt in der Türkei: „Die suchen bei uns nicht den Wohlstand, sondern die treibt die schiere Not.“ Viele wollten aber eigentlich in der Nähe ihrer Heimat bleiben. Syrische Ärzte, Lehrkräfte oder Elektriker müssten sich nicht erst in der Bundesrepublik um ihre Landsleute kümmern, sie könnten das auch in der Region. Und dafür müssten mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Uneins bleiben Regierung und Opposition in der Frage der Taschengeldleistung. CDU und FDP vermischten mit Absicht verschiedene Themen, kritisierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann. Niemand könne doch ernsthaft glauben, dass eine Familie aus Aleppo, die auf der Flucht so viel auf sich nehme, „wegen 140 Euro Taschengeld zu uns kommt“. Kretschmann versprach, die im Asylkompromiss zwischen Bund und Ländern festgeschriebene Umstellung unter dem Gesichtspunkt des Aufwands zu prüfen. „Sie erzählen eine sehr grüne Geschichte vom Gipfel und seinen Ergebnissen“, kommentierte Wolf sarkastisch.

Der Ministerpräsident stellte dennoch die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund. Und vor allem lobte er mehrfach das Krisenmanagement der Kanzlerin. Wofür er sich prompt eine Rüge von FDP-Fraktionschef Rülke ein: Angela Merkel habe den Vertrag von Dublin gebrochen, das sei nicht das richtige Zeichen gewesen.


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