Stuttgart. Lyrik, Polemik und Plattheiten - mit diesen und ähnlichen Kommentaren hat die Opposition von CDU und FDP im Landtag auf die Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) reagiert.
In der Aussprache über das Regierungskonzept der grün-roten Landesregierung kritisierte CDU-Fraktionschef Peter Hauk, die Regierungserklärung enthalte wenig Substanz und wenig Konkretes; vor allem aber „nichts, was nicht im Koalitionsvertrag erwähnt ist“.
Hans-Ulrich Rülke, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, legte an Schärfe noch zu. Die von Kretschmann propagierte „neue Gründerzeit“ bezeichnete er als „pure Anmaßung“. Für dreist halte er auch die Aussage des Regierungschefs, wonach Baden-Württemberg in der Gesamtverschuldung auf dem letzten Platz der 13 deutschen Flächenländer rangiere: Diese Berechnung sei wohl von jemandem gemacht worden, der die angestrebte Einheitsschule besucht habe, meinte Rülke.
Allerdings bot der Liberale der neuen Landesregierung die Unterstützung der FDP bei der vorgesehenen Direktwahl von Landräten, bei der Senkung des Quorums für Volksentscheide sowie beim geplanten Informationsfreiheitsgesetz an. Mit dem Gesetz sollen Bürger einen gesetzlich garantierten Zugang zu amtlichen Informationen erhalten.
Hauk erklärte, dass die CDU der neuen Regierung nach 58 Jahren ein bestelltes Feld übergebe. Er hob die Spitzenpositionen des Südwestens in vielen Bereichen vor und äußerte die Befürchtung, dass das Land unter Grün-Rot vom Global Player zur Provinzregion werden könnte. Den Regierungsfraktionen warf Hauk vor, Luftschlösser aufzubauen. Sozialdemokraten und Grünen fehle die Vertrauensbasis. Kretschmann verschiebe strittige Themen wie das Projekt Stuttgart 21 die den Ausbau erneuerbarer Energien in die Zukunft.
Der CDU-Politiker forderte den Ministerpräsidenten auf, die Steuermehreinnahmen zur Schuldentilgung zu verwenden und die Nullverschuldung nicht bis zum Jahr 2019 hinauszuschieben. Die grün-rote Regierung rede zwar vom soliden Haushalten, habe aber in der Regierungserklärung Mehrausgaben von 1,6 Milliarden Euro aufgelistet. Hauk forderte Kretschmann auf, auf die geplante Erhöhung der Grunderwerbsteuer zu verzichten, da diese junge Familien besonders hart treffe.
Sprecher der Regierungsparteien lobten dagegen die Inhalte der Regierungserklärung. Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann erklärte, dass bloß eine Politik im Dialog Losungen mit Akzeptanz entwickeln und die Erfahrungen der Bürger einbeziehen könne.
Die neue Regierung wolle auf dem Gebiet der Wirtschaft zeigen, dass Ökonomie und Ökologie für ein erfolgreiches Industrieland keine Gegensätze seien, sondern sich zu einer wirtschaftlichen Dynamik verbinden. Sitzmann bezeichnete die Kommunen als unverzichtbare Partner bei der Gestaltung des Wandels. Städte und Gemeinden seien erste Ansprechpartner beim öffentlichen Nahverkehr, den Kindergärten und Schulen, bei Krankenhäusern und der Eingliederung von Behinderten. „Deshalb müssen sie finanziell entsprechend ausgestattet werden“, sagte die Grünen-Politikerin. Das Konnexitätsprinzip sei dabei die Grundlage.
Sitzmann kündigte an, Fehler der Vorgängerregierung zu korrigieren und 80 Prozent der Wohnraumfördermittel auf den sozialen Wohnungsbau zu fokussieren. Zudem brauche der ländliche Raum attraktive Infrastrukturen. Durch regionale landwirtschaftliche Produkte, gesunde Ernährung und umweltverträglichen Tourismus sollen Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum gestärkt werden. Zudem soll die Schule im Dorf bleiben; den Aufbau der Schule mit Zukunft sollten die Kommunen mitgestalten.
Frühkindliche Bildung, die Einrichtung von Modellschulen sowie der Ausbau der Ganztagesschulen, die im Schulgesetz verankert werden sollen, seien weitere wichtige Punkte der Regierungsarbeit. Die Freien Schulen sollen gerecht finanziert und die berufliche Bildung ausgebaut werden; so soll Englisch-Unterricht in der dualen Ausbildung verbindlich werden. Sitzmann sprach sich auch für einen Zukunftspakt im Bereich der Kultur aus. Da Frauen im Landtag unterrepräsentiert sind, soll das Landtagswahlrecht entsprechend geändert werden. Die Grünen wollen die Bürgerrecht stärken und eine Politik des Miteinanders und des Dialogs forcieren.
Claus Schmiedel (SPD) warf der schwarz-gelben Vorgängerregierung vor, Erblasten hinterlassen zu haben. Auch er kündigte einen neuen Regierungsstil an: „Wir wollen nicht Durchregieren von oben, sondern ein partnerschaftliches Miteinander.“ Schmiedel sagte höhere Finanzmittel zur Sanierung maroder Landesstraßen zu und forderte vom Bund, die Mittel für die Bundesfernstraße zu erhöhen. Denn in Baden-Württemberg sei der Bedarf an Infrastruktur am größten.
Ministerpräsident Kretschmann reagierte gelassen auf die Kritik an seiner Regierungserklärung. „Es gab wenig grundsätzliche Kritik“, stellte er zufrieden fest. Oppositionsarbeit sei nicht so einfach wie man denkt, sagte er in Richtung von CDU und FDP.
Er werde sich von niemandem von der Politik der Nachhaltigkeit abbringen lassen. Er agiere nicht auf einer grünen Spielwiese, sondern trage Verpflichtung für alle. Kretschmann sagte, dass er ein Anhänger der „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ und Gegner eines „blinden Kapitalismus“ sei. In der Verkehrspolitik sei „intelligente Mobilität“ das Konzept.
Generell nehme er es „ernst, eine Bürgerregierung zu führen“. Polemik werde er zurückfahren. Er forderte insbesondere die Opposition dazu auf, die Gräben zwischen Politik und Bürgern nicht tiefer werden zu lassen. Außerdem müssten die Zugänge zur Politik, die heute bereits die Lobbygruppen hätten, auch der Zivilgesellschaft ermöglicht werden.