Stuttgart. Innenminister Reinhold Gall (SPD) hat die umstrittene Polizeireform verteidigt. „Die Reform war notwendig und von der Polizei selbst gewünscht und gefordert“, sagte der Minister am Donnerstag in der Aktuellen Debatte „100 Tage Polizeireform – erste Bilanz eines fehlgestarteten Projektes“. Nach Ansicht von Gall ist die Reform „ein Garant“ für die innere Sicherheit in Baden-Württemberg.
Gleichzeitig wies der Minister Vorhaltungen der CDU-Fraktion zurück, die Reform habe „eklatante Webfehler“ und sorge für „ganz böse Pannen“, wie CDU-Polizeiexperte Thomas Blenke in seiner Bilanz kritisierte. Die Polizei wachse wesentlich schneller in die neuen Aufgaben hinein als gedacht, erklärte Gall. „Und sie findet sich besser zurecht als Sie mit Ihrer Oppositionsrolle“, bemerkte der Minister zurück. Es sei auch gelungen, die Beschäftigten mitzunehmen. Dies zeige sich auch darin, dass bei 80 Prozent der 3300 Dienstortwechsel alle Verwendungswünsche berücksichtigt werden konnten. Zudem habe man alle Polizeireviere im Südwesten mit zwei Planstellen verstärkt.
Blenke hatte zu Beginn der Debatte die Polizeireform mit der Titanic verglichen. Auch auf dem Schiff sei habe der Maschinenraum funktioniert, die Brücke jedoch nicht. So sei es auch mit Kapitän Gall. Der CDU-Abgeordnete zitierte aus Briefen Betroffener und aus Zeitungsmeldungen. Außerdem kritisierte er die nach wie vor bestehende Führungslosigkeit der Polizeipräsidien, nachdem das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Berufung der Präsidenten kassiert hatte. „Sie bringen zwar mehr Polizei auf die Straße, aber nur, weil wir Polizeiarbeit der langen Wege haben“, sagte Blenke. Als größten Fehler der Reform bezeichnete er die Einrichtung zentraler Sondereinheiten wie der Kriminaldauerdienste oder der Verkehrsaufnahme. Und seine Kritik untermauerte er u.a. mit den steigenden Wohnungseinbrüchen und der sinkenden Aufklärungsquote.
Nach 100 Tagen könne man die Reform nicht ordentlich bewerten, erklärte Hans-Ulrich Sckerl (Grüne). „Selbstverständlich läuft es in so kurzer Zeit noch nicht rund“, sagte er. Aber dies sei auch bei der Verwaltungsreform von Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) nicht anders gewesen. Er räumte ein, dass die gerichtlich monierte Besetzung der Präsidenten-Posten „uns wehgetan hat“. Nun gebe es ein rechtssicheres Verfahren. Er versprach Verbesserungen beim Trennungsgeld für Polizisten. Die steigenden Einbrüche hätten nichts mit der Reform zu tun. Sckerl forderte die Opposition auf, mit der „Miesmacherei“ aufzuhören: „Damit tun Sie der Polizei und der Sicherheit in Baden-Württemberg keinen Gefallen.“
Auch Nikolaos Sakellariou (SPD) warnte die CDU davor, mit „Klientelpolitik“ der Polizei zu schaden. Die Polizeireform sei schließlich zwingend notwendig geworden, weil die CDU/FDP-Regierung Polizeistellen abgebaut und Mittel gekürzt habe. „Die Polizei war das Sparschwein und das ging zu Lasten der Qualität“, stellte er fest. Die Opposition wolle sich auf Kosten der Polizei profilieren, mutmaßte er. Anlaufschwierigkeiten bei einer solch großen Reform seien jedoch unausweichlich.
Für Ulrich Goll (FDP) hätten sich Veränderungen auch in der alten Polizeistruktur realisieren lassen. So aber ziehe man die Führung und die Spezialisten der Polizei weg vom operativen Geschäft. Und gerade eine zentrale Unfallaufnahme brauche halt länger als die bisherige Tätigkeit vor Ort. Kritisch betrachtete Goll, dass die Polizei auch nach drei Monaten immer noch führungslos sei. Nicht die fehlende Ausschreibung der Stellen, sondern die fehlenden Beurteilungen seien der Grund für das Gerichtsurteil gegen die Besetzungen gewesen, begründete er seine Kritik an der Landesregierung. Außerdem monierte Goll, dass keine Frau eine Chance auf ein Führungsamt bei der Polizei habe: „Die Polizei wird systematisch frauenfrei gemacht.“ Der Innenminister bewege sich im Lendenschurz und mit einer Keule in der frauenpolitischen Steinzeit.
Minister Gall wies die „Verunglimpfungen und Unterstellungen“ zurück. Er habe die Strukturreform vornehmen müssen, da beim Amtsantritt von Grün-Rot die Hälfte der Polizisten nur noch 10 Jahre bis zur Pension hatten, der Polizeifunk erneuert werden musste und Schwarz-Gelb nicht nur das Betriebsbudget um 3o Prozent gekürzt, sondern die Polizei auch personell ausgedünnt und 230 Polizeiposten geschlossen habe. „Die Reform war von unten und nicht von oben“, erklärte er zur Beteiligung der Betroffenen. Die Landesregierung habe dabei Vertrauen in die Stärke, das Wissen und die Qualität der Polizei gesetzt.