Stuttgart. Baden-Württemberg ist nach Ansicht von Staatsminister Peter Friedrich (SPD) die Region, die am meisten von Europa profitiert. In der Aussprache über aktuelle europapolitische Themen zog Friedrich außerdem ein positives Fazit der Europawahl am 25. Mai. Trotz "unschöner Begleiterscheinungen" bei der Wahl des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker könne der damit verbundene Demokratisierungsprozess "der EU nur gut tun". Regierungsbildung brauche eben Zeit, das sei anderswo auch so, zeigte Friedrich Verständnis für das Hick-Hack um die Nominierung des Luxemburgers.
Der Minister sagte, Europa stehe vor großen Aufgaben und Erwartungen. Allein mit Sparen werde man aus der Wachstumskrise nicht herauskommen, betonte er zur Euro- und Finanzkrise. Nach wie vor sei die Kreditklemme in Südeuropa und die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einigen Staaten brennende Aufgaben. Er forderte, bei den Banken nur jene Institute anzupacken, die riskant sind, gut funktionierende Institute wie die Genossenschaftsbanken oder Sparkassen in Deutschland nicht zusätzlich zu belasten.
Friedrich sprach auch die Zusammenarbeit mit der Schweiz an. "Die Beziehungen sind gut und vertrauensvoll", erklärte er. Die Kooperation mit dem südlichen Nachbarn funktioniere hervorragend. Dennoch sei die EU-Reaktion nach der Volksabstimmung in der Schweiz zum beschränkten Zuzug von Ausländern richtig gewesen. Pläne zur Kontingentierung seien mit der Freizügigkeit in Europa und dem EU-Recht nicht vereinbar. Trotz der guten Beziehungen bestünde aber auch eine "negative Liste"; als Beispiele nannte der Minister den Fluglärm, die Steuer oder Verkehrsprojekte.
Für die Grünen-Fraktion begrüßte Josef Frey die Wahl Junckers zum Kommissions-Präsidenten. Dies bringe mehr Solidarität. Auch er bewertete die Europawahl positiv, hätten doch die Wähler Gesichter gesehen: "Diese Kandidaten wollen die Bürger auch später sehen." Deshalb bewertete er das "Taktieren" von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) negativ; sie habe das Parlament und Juncker geschwächt. Die gute Nachricht für Europa sei, dass es die Rechtspopulisten im EU-Parlament nicht geschafft hätten, eine Fraktion zu bilden.
Wolfgang Reinhart (CDU) verteidigte Merkel; sie habe bloß die Bedenken Großbritanniens ernst genommen. Außerdem lobte der frühere Europaminister in der CDU-FDP-Landesregierung den EU-Kommissar Günther Oettinger, der "gut für Europa, Deutschland und Baden-Württemberg" sei. Reinhart würdigte auch die Wahlbeteiligung von 52 Prozent im Südwesten. Auch er sprach sich dafür aus, alles für die engen Verflechtungen zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz zu tun und die guten Beziehungen nicht zu gefährden.
Die Situation in Europa sei nach innen und außen nicht einfacher geworden, sagte Rita Haller-Haid (SPD). Jede fünfte Stimme sei an Rechtspopulisten oder Europa-Kritiker gegangen. Neben der Euro-Krise und der Jugendarbeitslosigkeit müsse die EU auch zur Deeskalation in den Kriegsgebieten beitragen. Sie sprach sich gleichzeitig dafür aus, die Partnerschaft mit Russland deutlich zu pflegen. "Dies eröffnet uns neue Chancen", sagte die SPD-Abgeordnete. Sie verlangte ein klares Bekenntnis, dass auch Russland ein Teil Europas ist. Das Referendum in der Schweiz bezeichnete sie als "Flurschaden"; 52 000 der 57 000 Grenzgänger im Nachbarland kämen aus Baden-Württemberg.
Leopold Grimm (FDP) reklamierte, die gemeinsame Sicherheitspolitik sei im Bericht der Landesregierung zu kurz gekommen. Aus seiner Sicht erhalte Europa dann Akzeptanz, wenn die EU die Sorgen der Bürger ernst nimmt. Friedrich Bullinger (FDP) warnte die Schweiz, sich langfristig zu isolieren. Obwohl sich die Schweizer sonst gerne als 29. EU-Land wähnten, hätten sie sich mit der Abstimmung nicht gerade "europäisch solidarisch" verhalten. Deshalb müsse die Schweiz Lösungen finden, forderte Helen Heberer (SPD). Derweil warnte Kai Schmidt-Eisenlohr (Grüne) vor einem totalen Abbruch der Beziehungen im Wissenschaftsbereich. Der "grenzenlose Austausch" sollte weitergehen., es dürfe keine Abschottung geben.