Stuttgart. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sieht in der Digitalisierung große Chancen für die Unternehmen in Baden-Württemberg. Sie biete ein breites Spektrum für die Wirtschaft, den Mittelstand sowie die Arbeitnehmer im Südwesten, sagte sie am Donnerstag im Landtag. Allerdings könne die Digitalisierung nur gemeistert werden, „wenn wir die Menschen, die Gesellschaft, die Arbeitnehmer mitnehmen und einbeziehen“. Sonst werde das nicht funktionieren.
Die Ministerin will auch, dass zuerst über die Chancen diskutiert wird und dann erst über die Herausforderungen. „Wir neigen dazu, die Risikodiskussion über die Chancendiskussion zu stellen.“ Aber gerade die Chancen dürften nicht verpasst werden. Es gebe auch keine Alternative dazu, denn „die Welt, die Kunden, die User, die Konkurrenten“ würden nicht auf Baden-Württemberg warten, bis dort die Fragen ausdiskutiert sind. Umso mehr freut sich Hoffmeister-Kraut, dass sie im Südwesten bei vielen Gesprächen „eine Aufbruchstimmung im Bereich Digitalisierung“ spürt. Viele Unternehmen hätten das Thema adressiert, es gebe aber auch ein Gefälle: Viele kleine und mittlere Unternehmen seien „nur teilweise tief in den Themen“ drin.
Aus Sicht der Ministerin ist es wichtig, die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft noch besser zu besetzen. Sie zitierte eine Studie des Fraunhofer-Instituts Stuttgart, nach der sich das volkswirtschaftliche Plus durch die Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren in Deutschland auf 78 Milliarden Euro beziffere – nur im industriellen Bereich. Ein Großteil dieses Zuwachses müsse nach Baden-Württemberg geholt werden. Die Allianz Industrie 4.0 mit mehr als 50 Wirtschaftsorganisationen und Forschungseinrichtungen soll dieses Thema in der Fläche mit Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen voranbringen. „Darüber hinaus habe ich jetzt die Initiative Wirtschaft 4.0 gestartet“, berichtete Hoffmeister-Kraut. Die erste Maßnahme sei die Einrichtung regionaler Digital Hubs. Diesen Unternehmen soll eine Digitalisierungsprämie angeboten werden.
Auch das Thema Weiterbildung ist für die CDU-Politikerin „ganz zentral“. Digitalisierung beeinflusse die Arbeitswelt, weshalb der Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht vergessen werden dürfe. „Die Arbeit der Zukunft wird anders aussehen“, erklärte sie, Homeoffice, mobiles Arbeiten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf böten immense Flexibilisierungsmöglichkeiten. Ohne Änderungen im Arbeitszeitgesetz werde dies aber nicht gehen. „Ich stehe für die Tariföffnung“, sagte Hoffmeister-Kraut. Die Wirtschaft im Südwesten floriere deshalb so erfolgreich, weil „wir ein funktionierendes System bei den Tarifpartnern haben“. Werkverträge seien seit Jahren „bestehender und bewährter Bestandteil einer arbeitsteiligen Wirtschaft“. Sie seien auch mit Blick auf die Spezialisierung „nicht mehr wegzudenken“ und wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es gehe aber auch um die Stabilität des sozialen Sicherungssystems.
Die Ministerin lobte die Bundesregierung für die Begrenzung der Überlassungshöchstdauer bei der Arbeitnehmerüberlassung; die 18 Monate seien ein akzeptabler Kompromiss. Verständnis zeigt sie aber auch für die Kritik in Hinblick auf Equal Pay. Auch für die Integration von Flüchtlingen sei die Arbeitnehmerüberlassung wertvoll; keine Branche beschäftige anteilig mehr Flüchtlinge als die Leiharbeit.
Auch die Abgeordneten der fünf Parteien werteten die Chancen der Digitalisierung positiv. „Wir dürfen uns keine Angst einjagen lassen“, sagte Georg Wacker (CDU) mit Blick auf den befürchteten Wegfall von Arbeitsplätzen. In den OECD-Staaten seien nur neun Prozent der Arbeitsplätze automatisierungsgefährdet. Das Land habe für Geringqualifizierte wichtige Akzente im Bildungsbereich gesetzt mit Werkstätten an 15 beruflichen Schulen. Vor Ort sollten gemeinsame Lösungen von Arbeitnehmern und Unternehmern ermöglicht werden.
Alexander Schoch (Grüne) sieht die Digitalisierung als „Innovations- und Nachhaltigkeitsmotor“. Selbstbestimmung und -verwirklichung werde in der Arbeitswelt stärker zum Thema werden. Alle Branchen müssten sich dem Veränderungsprozess stellen. Er sprach sich dafür aus, die geltenden sozialen Arbeitsstandards für die digitale Arbeitswelt weiterzuentwickeln und Regelungen für Leiharbeit und befristete Beschäftigung zu treffen.
Auch die AfD befürwortet „grundsätzlich“ den digitalen Wandel. Er sollte aber nicht von Auswüchsen einer Art Lohnsklaverei begleitet werden, forderte Carola Wolle. Der Flexibilisierungsbedarf der Unternehmen müsse mit dem berechtigten Anspruch der Arbeitnehmer auf Schutz und Gesundheit in Einklang gebracht werden. Das Weißbuch Arbeiten 4.0 zeige, dass die Digitalisierung der Wirtschaft eine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewünschte Arbeitszeitflexibilisierung einhergehe.
Boris Weirauch (SPD) warf der CDU vor, sie sehe sich offenkundig in der Pflicht, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt nahezu ausschließlich aus der Bedarfsperspektive der Arbeitgeber zu betrachten. Ihn beschleicht das Gefühl, dass die CDU das Zukunftsthema „fortgesetzt missbraucht, um über die Hintertür Arbeitnehmerrechte abzubauen“. Der große Teil der aktuelle Beschäftigten müsse jetzt und nicht erst in fünf Jahren auf die Digitalisierung vorbereitet, geschult und weitergebildet werden, sagte Weirach. Deshalb habe die SPD bei den Haushaltsberatungen 10 Millionen Euro für einen Weiterbildungsfonds beantragt.
Erik Schweickert (FDP) monierte, Grün-Schwarz habe einer Anhörung im Ausschuss von Beteiligten – Gewerkschaften und Arbeitgebern – nicht zugestimmt. Es bleibe der baden-württembergischen Wirtschaft zu wünschen, dass es bei der Digitalisierung „nicht so wird bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit“, sagte der Liberale. Die Landesregierung dürfe nicht nur beschreiben und alles nach hinten schieben, sondern müsse endlich einmal vorlegen.