Stuttgart. Als „Meilenstein“ auf dem Weg der gesellschaftlichen Teilhabe behinderter Kinder haben Kultusminister Andreas Stoch (SPD) sowie Vertreter der Regierungsfraktionen von Grünen und SPD das Inklusionsgesetz sowie die Vereinbarung mit den Kommunen über die Finanzierungbezeichnet, die am Donnerstag vom Kultusminister in den Landtag eingebracht wurden. CDU und FDP bezeichneten die Inklusion ebenfalls als wichtiges Ziel, kritisierten aber die beiden Teile des Gesetzentwurfes als unzureichend und mit heißer Nadel gestrickt.
Stoch sprach von der Inklusion als einer großen Herausforderung und einem langen Weg, den alle Beteiligten gemeinsam beschreiten müssten, um das Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderung zur gesellschaftlichen Normalität werden zu lassen. Als Mittelpunkt des Gesetzentwurfs bezeichnete er das Angebot, auf den Besuch einer Sonderschule zu verzichten und die Bildungswegekonferenz, die mit den Eltern die bestmögliche Lösung für das jeweilige Kind suche. „Wir werden die Eltern mit dieser Entscheidung nicht allein lassen“, so der SPD-Minister, der den Sonderschulen zugleich eine Bestandsgarantie aussprach. „Sie leisten hervorragende Arbeit, wir wollen keine Diskussion, in der sie Angst um ihre Existenz haben müssen.“ Nicht in jeder Schule werde von heute auf morgen inklusiver Unterricht möglich sein. „Aber jede Schule ist aufgefordert, sich auf den Weg zu machen. Ich bin sicher: Das Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderung wird auf lange Sicht zur Normalität werden.“
Unterstützung bekam der Kultusminister von den Vertretern der Regierungsfraktionen. Thomas Poreski (Grüne) sprach von einem „Meilenstein in Schulgesetzgebung“. „Wir gestalten den Umbau mit Augenmaß, ohne Bewährtes über Bord zu werfen“, sagte Poreski und stellte heraus, dass sich Eltern künftig frei für eine inklusive Beschulung ihres Kindes in einer wohnortnahen Regelschule entscheiden könnten. Poreski lobte zudem die Vereinbarung mit den Kommunen über die Finanzierung. „Inklusion ist für die Grünen kein Sparmodell“, sagte er.
Dass die Sonderschulpflicht schon bald der Vergangenheit angehören werde, stellte der SPD-Abgeordnete Klaus Käppeler (SPD) als einen der wichtigsten Punkte heraus. „Kinder werden nicht länger aussortiert, wenn sie es nicht wollen“, sagte Käppeler, der selbst Schulleiter ist. Auch er sprach von einem Meilenstein und einem Signal, das weit über den Bildungsbereich hinausgehe. Und dazu beitrage, in der Gesellschaft Denkschablonen und Berührungsängste abzubauen. „ Es macht mich stolz, daran mitwirken zu dürfen.“
Dass die Ausweitung inklusiver Betreuung an den Schulen auch für die CDU ein wichtiges Ziel sei, betonte Sozialexpertin Monika Stolz. Sie kritisierte allerdings, dass sich Grün-Rot mit der Gesetzgebung Zeit gelassen sowie große Erwartungen geschürt und Verheißungen in die Welt gesetzt habe. „Bei allen Beteiligten hat sich Unsicherheit breitgemacht. Und jetzt vor der Landtagswahl wird das Gesetz noch schnell durchgezogen.“ Stolz bemängelte zudem, dass Art und Umfang der sozialpädagogischen Betreuung im Gesetzentwurf „völlig unklar“ blieben. „Viele Fragen über Art der Unterstützung sind völlig offen, Eltern und Lehrer wissen nicht Bescheid“, sagte sie. Die Schulen seien nicht hinreichend vorbereitet, wenn das Gesetz am 1. August in Kraft trete. Die CDU-Politikerin forderte von der Landesregierung, offene Fragen zu klären.
Auch die Liberalen sprachen sich für das grundsätzliche Ziel der Inklusion aus.“ Aber das Gesetz ist mit heißer Nadel gestrickt und nicht zu Ende gedacht“, sagte der bildungspolitische Sprecher der FDP, Timm Kern. Es sei ein schwerer Fehler der Regierungsfraktionen gewesen, das Thema nicht in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe aufgearbeitet zu haben. Kern führte an, dass der Städtetag nicht mit dem Gesetzentwurf einverstanden sei, da dieser nicht den Stand der Verhandlungen wiedergebe. Kern bemängelte, dass die Zukunft der Sonderschulen als sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren ungeklärt sei und die Folgen des Elternwahlrechts nicht ausreichend berücksichtigt seien. Zudem sei die Finanzierung unklar. „Ohne Änderung an entscheidenden Punkten ist dieser Entwurf keine Basis für gelingende Inklusion“, kritisierte Kern.
Der Gesetzentwurf wurde zur Beratung in die beteiligten Ausschüsse überwiesen. Die zweite Lesung soll noch vor der Sommerpause stattfinden, damit das Gesetz am 1. August in Kraft treten kann.