Stuttgart. Einen Tag vor dem Ganztagschulgipfel, auf dem rund 500 Fachleute in Kornwestheim die Fortentwicklung der Angebote diskutieren wollen, hat der bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Timm Kern schwere Vorwürfe erhoben. In einer Landtagsdebatte zur Wahlfreiheit der Eltern warf er CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann vor, weiter am grün-roten Ganztagsmodell festzuhalten. Das sei aber „nichts anderes als ein Scheuklappen-Zwangsmodell“. Mit einer einseitigen Fixierung auf die verpflichtend-rhythmisierte Ganztagsschule würden „die Realität und die Bedürfnisse unserer Gesellschaft konterkariert“. Die im Schulgesetz verankerte Wahlform bestehe in Wirklichkeit überhaupt nicht, weil Eltern nur zwischen einer bestimmten Art des Ganztags- und einem Halbtagszug wählen könnten.
Eisenmann verteidigte die Regelungen. Die Ministerin ist seit ihrer Zeit als Schulbürgermeisterin von Stuttgart eine Anhängerin von gebundenen Angeboten, in denen Unterricht, Betreuung und Freizeit zwingend rhythmisiert werden. Auch Bildungsforscher bevorzugen einen hohen Grad an Verbindlichkeit, um die Qualität der Ganztagsschule zu sichern und die Mittel dafür effizient einzusetzen. Kern argumentierte dagegen unter anderem mit einer Umfrage von Insa Consulere im Auftrag der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz aus dem Jahr 2014, nach der sich 62 Prozent der Eltern eine Ganztagsschule mit freiwilligen Angeboten am Nachmittag wünschen, 16 Prozent bei der Halbtagsschule bleiben wollen und 20 Prozent für verpflichtende Angebote sind.
Die Bildungspolitiker von SPD und Grünen stellten sich ebenfalls gegen Kern. Der Ladenburger Abgeordnete Gerhard Kleinböck (SPD) bekannte, dass er, hätte er in der vergangenen Legislaturperiode allein entscheiden können, jede Wahlfreiheit verhindert hätte. Für die AfD-Fraktion bezweifelte Rainer Balzer, dass überhaupt der Wunsch der Schüler und der Bedarf der Familien im Vordergrund der Ganztagsschuledebatte steht.
Eisenmann verwies darauf, dass 88 Prozent der Ganztagsschulen im Land in Wahlform geführt werden. Und sie warnte vor verfrühten Festlegungen. Auf dem von ihr initiierten Gipfel würden Expertenmeinungen eingeholt. Im kommenden Frühjahr werde die Landesregierung ein Konzept vorlegen, das gegebenenfalls Weiterentwicklungen vorsieht.
CDU und FDP hatten sich 2011 kurz vor den Landtagswahlen nicht über eine Aufnahme der Ganztagsschule ins Schulgesetz verständigen können. Stattdessen sollten die Angebote bis mindestens zum Schuljahr 2014/2015 als Modelle laufen. Grün-Rot hatte 2014 eine Änderung des Schulgesetzes auf den Weg gebracht. Und dieses Gesetz, so Eisenmann an die Adresse der FDP, sei eine gute Grundlage für die weitere Entwicklung. Sandra Boser (Grüne) nannte es sogar einen der wichtigsten Fortschritte in der vergangenen Legislaturperiode überhaupt.