STUTTGART. Die erste Sitzung des Landtags im neuen Jahr hat lautstark begonnen. Einen Ordnungsruf durch Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) handelte sich der Ex-AfD-Abgeordnete Heinrich Fiechtner ein, weil er SPD-Fraktionschef Andreas Stoch mit Vorwürfen der „Lüge und Fake-News“ überzog. Stoch brachte den SPD-Antrag ein zur „Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Duldung für gut integrierte Asylsuchende“, den die FDP unterstützte, die Mehrheit jedoch am Ende ablehnte mit 101 zu 27 Stimmen bei zwei Enthaltungen.
Hintergrund der Debatte sind Abschiebungen von Flüchtlingen in Arbeit, die von betroffenen Unternehmern und Kommunen heftig kritisiert wurden. Auch innerhalb der Regierungskoalition hatten sich Risse gezeigt. Während die CDU auf eine harte Linie bestand, traten Vertreter von Grünen für eine weitere Duldung ein. Doch in der Landtagsdebatte demonstrierte die Koalition Einigkeit.
Als „absurd und gegen den gesunden Menschenverstand gerichtet“ bezeichnete Stoch die Abschiebung von denjenigen, die sich integrationswillig durch Arbeit zeigen. Für ihn ein „verheerendes integrationspolitisches Signal“ und „wirtschaftspolitischer Unfug“.
Die Abschiebungen würden Handwerksbetriebe nicht nur vor den Kopf stoßen, sondern auch in existenzielle Not bringen wegen des Schadens durch die Verlust einer benötigten Arbeitskraft. Den Grünen warf Stoch „mangelnde Glaubwürdigkeit“ vor: „Sie halten Sonntagsreden über einen Abschiebestopp, unternehmen aber nichts“. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schaue zu.
Stoch wies darauf hin, dass Innenminister Thomas Strobl (CDU) sogar von der eigenen Parteifreundin Annette Widmann-Mauz kritisiert werde. Er betonte, dass in anderen Bundesländern genau jener Ermessensspielraum genutzt werde, den es laut Strobl nicht gebe. So entstehe der Eindruck, dass der Innenminister „auf jeden Fall höhere Abschiebezahlen“ wolle. Strobl solle nicht nur mit „Herz und Härte“, sondern auch mit Hirn abschieben.
Die FDP befürwortete den Antrag. Auf Betreiben der Liberalen wurde als Voraussetzung für die Duldung eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit von mindestens sechs Monaten in den SPD-Antrag aufgenommen. Dass in Zeiten, in denen die Unternehmen um Fachkräfte ringen, diejenigen abgeschoben werden, die in Lohn und Brot stehen, hält auch Nico Weinmann für „absurd“.
Er wies darauf hin, dass die Länder trotz des Bundesgesetzes zur Beschäftigungsduldung nach Ansicht von Verwaltungsrichtern einen Handlungsspielraum hätten. Ermessen müsse aber die Ausnahme bleiben, so Weinmann, der ein vernünftiges Einwanderungsgesetz forderte.
Der Grüne Daniel Lede Abal warf Stoch vor, dass die SPD im Bund Gesetze beschieße und diese im Land verwerfe. „Sie haben im Bund die unklare Rechtslage verursacht“. Er bekräftigte: „Menschen, die Arbeit haben, wollen wir eine dauerhafte Perspektive im Land ermöglichen“. Er plädierte für „pragmatische, humanitäre Entscheidungen“ und bekannte sich zur Verantwortung für Unternehmen. Die Grünen setzen deshalb auf die Initiative im Bundesrat.
Der CDU-Abgeordnete Thomas Blenke stellte klar, dass die Voraussetzungen für die Beschäftigungsduldung vom Bund gesetzlich fixiert worden seien. Für ihn ist es wichtig, „die Interessen des Rechtsstaates und die wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen“. Auch Blenke setzt auf die Bundesratsinitiative, die die anrechenbaren Zeiten für die Beschäftigungsduldung ausweiten will.
Der AFD-Abgeordnete Daniel Rottmann erregte mit seinen Vorwürfen an die SPD, Politik für Minderheiten zu betreiben und die Enteignung von Unternehmen zu verfolgen erheblichen Unmut. Heinrich Fiechtner und Wolfgang Gedeon schlossen den Kreis der Redner mit Schmähungen.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) stellte klar, dass aus seiner Sicht, diejenigen, die ein Schutzbedürfnis nicht nachweisen können, in ihre Heimat zurück müssen. Den Unternehmern schrieb er ins Stammbuch, dass es mit 68.000 Schutzbedürftigen im erwerbsfähigen Alter eine große Zahl von Arbeitskräften im Land gebe. Er warnte die Arbeitgeber, jemanden mit unsicherer Bleibeperspektive einzustellen. „Man kann nicht Ermessen ausüben, wo es kein Ermessen gibt“.
Für Strobl ist das Bundesgesetz zur Beschäftigungsduldung das einzig bindende, solange die Bundesratsinitiative der Landesregierung nicht greift. „Die Interessen von Unternehmern und Flüchtlingen in Arbeit sind uns wichtig, wir kümmern uns aber auch um den Rechtsstaat“, resümierte Strobl.