Stuttgart. Mit den Stimmen aller anwesenden 131 Abgeordneten hat der Landtag in Stuttgart am Mittwoch die erste Verfassungsänderung in der laufenden Legislaturperiode beschlossen. Danach wird künftig ein Volksantrag möglich sein, mit dem der Landtag verpflichtet werden kann, sich mit „bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung“ zu befassen.
Außerdem wurden die Hürden für Volksabstimmungen gesenkt; das Quorum wurde von 33 auf 20 Prozent reduziert. Nach der einstimmigen Verfassungsänderung wird der Staatsgerichtshof in Verfassungsgerichtshof umbenannt. Weitere Änderungen betreffen Kinder- und Jugendrechte, gleichwertige Lebensverhältnisse im Land und das Ehrenamt – sie alle werden als neue Staatsziele in der Landesverfassung genannt.
Innenminister Reinhold Gall (SPD) wertete den „breiten Konsens“ beim parteiübergreifenden Änderungsantrag zur Landesverfassung als „schönes Zeichen“. Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) pflichtete ihm bei: „Ein guter Tag fürs Parlament.“ Trennendes sei bei diesem Thema zurückgestellt worden. Er bezeichnete die direkte Demokratie als „eigentlichen Ausgangspunkt“ für die Verfassungsänderungen.
Eine „Weiterentwicklung“ sieht Volker Schebesta (CDU) in der Verfassungsänderung. Diese bewirke auch eine bessere Verfassung des Landes. Auch Sascha Binder (SPD) war sich der besonderen Bedeutung bewusst: eine Verfassungsänderung sei „nichts Selbstverständliches“, sagte er. Ulrich Goll (FDP) wertete das „Gemeinsame“ ebenfalls positiv. Sonst gebe es zwischen den Fraktionen ständig ein Pro und Kontra. Er begrüßte vor allem das Staatsziel Förderung des Ehrenamts für das Gemeinwohl. Das Ehrenamt trage „dauerhaft zur Blüte des Landes“ bei.
Im neuen Artikel 2a der Landesverfassung manifestiert sich die grundsätzliche Wertentscheidung zugunsten von Kindern und Jugendlichen sowie deren gesellschaftliche Wertschätzung an exponierter Stelle. In Artikel 3a wird die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen als Staatsziel aufgenommen. Die Schaffung solcher Lebensverhältnisse ist bereits im Landesplanungsgesetz definiert. In Artikel 3c wird die Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl zum Staatsziel erklärt. Dieses Engagement trage wesentlich zu einer menschlichen und solidarischen Gesellschaft bei und festige das demokratische Gemeinwesen, heißt es in der Vorlage.
In Artikel 59, Absatz 2, wird die Möglichkeit des Volksantrags eingeführt. 0,5 Prozent der Wahlberechtigten (ca. 38 000) können damit den Landtag verpflichten, sich mit bestimmten politischen Themen einschließlich ausgearbeiteter Gesetzesentwürfe zu befassen. Um Volksbegehren und Volksabstimmungen zu erleichtern, wird in Artikel 59 Absatz 3 das Unterstützungsquorum für ein Volksbegehren von einem Sechstel auf ein Zehntel der Wahlberechtigten (statt 1,27 Mio künftig nur noch 762 430 Stimmen) sowie in Artikel 60 Absatz 5 das Zustimmungsquorum für Volksabstimmungen über einfache Gesetze von einem Drittel auf ein Fünftel der Stimmberechtigten gesenkt (von 2,54 auf 1,5 Mio. Stimmen).
Der Staatsgerichtshof war bisher dazu berufen, in staatsorganisationsrechtlich geprägten Streitigkeiten zu entscheiden. Mit der Einführung der Landesverfassungsbeschwerde zum 1. April 2013 hat sich die Ausrichtung grundlegend geändert. Nunmehr haben Bürger die Möglichkeit, vor dem Staatsgerichtshof Individualrechtsschutz zu erlangen. Dies soll durch die Umbenennung des Gerichts in Verfassungsgerichtshof verdeutlicht werden.