Stuttgart. Frontalzusammenstoß zwischen Koalition und Opposition beim Thema Mobilität. In der von der CDU-Fraktion beantragten Aktuellen Debatte „Die Neuerfindung und Transformation der Mobilität: Herausforderung und Chance für das Autoland Baden-Württemberg“ prallten am Mittwoch im Landtag die unterschiedlichen Haltungen aufeinander. Nach Ansicht von AfD, SPD und FDP hat die grün-schwarze Landesregierung mit der Androhung von Fahrverboten für Dieselautos in der Stuttgarter Innenstadt dem Automobilstandort Baden-Württemberg extrem geschadet. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sowie die Fraktionschefs von Grünen und CDU wiesen dies entschieden zurück.
In der mehr als zweistündigen Debatte verteidigte Kretschmann den Kurs der Landesregierung. Wegen zu hoher Schadstoff-Emissionen und drohender Klagen sei der Luftreinhalteplan für Stuttgart mit Fahrverboten erarbeitet worden. „Fahrverbote sind ein Mittel und kein Zweck“, erklärte der Regierungschef. Deshalb seien sie, seit Nachrüstungen möglich sind, „nicht in Stein gemeißelt“. Kretschmann beteuerte, es gebe „den sauberen Diesel, der in der Übergangszeit eine Rolle spielen wird“. Die Zeit der herkömmlichen Verbrennungsmotoren mit fossilen Brennstoffen gehe jedoch auf mittlere Sicht zu Ende. Der Ministerpräsident gab zu, es unterschätzt zu haben, dass die Ankündigung von Fahrverboten „solche Auswirkungen auf die Preise von Dieselautos“ haben. Auch deshalb sei er froh, alternative Lösungsvorschläge in Gang gesetzt zu haben, dass es nun Nachrüstungen für Diesel der Euro-5- und Euro-6-Norm geben wird. Daimler will drei Millionen Dieselautos kostenlos nachrüsten.
Mit der Ankündigung der Verbote seien nicht nur der Wiederverkaufswert von Dieselautos massiv gesunken, sondern auch die Zulassungszahlen von Diesel um ein Fünftel zurückgegangen, kritisierte Rainer Podeswa (AfD). Dieselfahrer seien „enteignet“ worden, Grün-Schwarz habe Zehntausende von Arbeitsplätzen gefährdet beziehungsweise abgeschafft. Immerhin sei jeder fünfte Arbeitsplatz im Südwesten direkt abhängig von der Autoindustrie. Das Verhalten der Landesregierung bezeichnete der AfD-Fraktionsvize als „Schande“.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch monierte, die Grün-Schwarz habe Baden-Württemberg mit dem Bashing des Verbrennungsmotors und insbesondere des Diesels „massiv geschadet“. Die Wiederverkaufswerte seien stark gesunken. Es sei fatal, die Antriebsarten gegeneinander auszuspielen; dies bedeute den „Tod der baden-württembergischen Automobilwirtschaft“. Die Landesregierung werde ihrer Verantwortung für hunderttausende Arbeitsplätze nicht gerecht. Stoch warf Grünen und CDU „erhebliche Unterschiede“ in der Mobilitätsdebatte vor: Die CDU spreche nur übers Auto und nicht über verändertes Mobilitätsverhalten; die Grünen würden die Unterschiedlichkeit im Land vergessen, denn im ländlichen Raum würde der Verbrennungsmotor „weiter eine ganz wichtige Rolle spielen“.
Auch Jochen Haußmann (FDP) sprach von einem „Vertrauensschaden“ für den Diesel. Mit dem Fahrverbot habe sich die Regierung in eine Sackgasse manövriert und der Autoindustrie „massiv“ geschadet. Nachdem Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die Fahrverbote als alternativlos bezeichnet habe, zeige nun die Wende der Regierung, dass Hermanns Politik gescheitert sei. Der FDP-Verkehrsexperte prophezeite, dass man ohne den Verbrennungsmotor „nicht auskommen“ werde. Wer Klimaschutz ernst nehme, müsse auch Diesel einsetzen, denn durch die Umrüstungen werde Umweltschutz erreicht.
Zuvor hatten die Fraktionschefs Wolfgang Reinhart (CDU) und Andreas Schwarz (Grüne) die Mobilitätspolitik der Landesregierung positiv bewertet. Das Bedürfnis nach individueller Mobilität nehme zu, darauf müsse Baden-Württemberg als Autoland Antworten geben, sagte Reinhart. Angeregt vom Wirtschaftsministerium sei es richtig, den Strategiedialog Automobilwirtschaft in aller Breite zu führen. Mit der Landesinitiative „Marktwachstum Elektromobilität“ würden bis 2021 mehr als 43 Millionen Euro eingesetzt. Baden-Württemberg treibe die Transformation voran genauso wie die Unternehmen.
Reinhart wies darauf hin, dass Daimler das Werk Untertürkheim als High-Tech-Standort für Elektroantriebe langfristig gesichert habe, Mahle zum Kolben-Geschäft den neuen Schwerpunkt Thermomanagement ausbaue, ZF kräftig im Bereich E-Mobilität investiere. Entscheidend sei, dass auch der Mittelstand mitkomme auf dem Weg in die Zukunft. Auch der moderne Diesel werde als hocheffiziente Übergangstechnologie noch lange gebraucht. Deshalb setze die CDU auf Innovation und Nachrüstung statt auf Fahrverbote.
„Das Auto und die Mobilitätsdienstleistungen der Zukunft sollen aus Baden-Württemberg kommen“, sagte Andreas Schwarz. Mit alternativen, emissionsfreien Antriebstechnologien, mit der Möglichkeit des autonomen Fahrens und mit digitaler Vernetzung zu anderen Mobilitätsträgern würden die Mobilitätskonzepte der Zukunft erstellt. Dazu sei der Dialog von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik notwendig. Außerdem brauche das Land ein engmaschiges Netz der Ladeinfrastruktur im urbanen und im ländlichen Raum. Es müsse auch in die wirtschaftsnahe Forschung zur Unterstützung der vielen kleinen und mittleren Unternehmen der Zulieferindustrie investiert werden. Die Landesinitiative E-Mobilität III mit über 43,5 Millionen Euro sei daher gut angelegtes Geld.
Außerdem investiere das Land in die Infrastruktur beim Straßenbau wie beim Radverkehrsnetz sowie in die Forschung zum Autonomen Fahren am Karlsruher Institut für Technologie. „Wir werden die Digitalisierung nutzen, um Verkehrsströme intelligent zu lenken und neue Plattformen für vernetzte Mobilität zu ermöglichen“, kündigte Schwarz an. „In Baden-Württemberg sind wir auf dem richtigen Weg. Der Bund muss so schnell wie möglich folgen“, konstatierte Schwarz. Der nächste Bundesverkehrsminister dürfe nicht mehr auf der Bremse stehen und Fortschritt verhindern. Ab September brauche Deutschland einen Verkehrsminister, der den Wandel gestaltet, der sich Zukunftsfragen annehme.
Die grün-schwarze Landesregierung hatte ursprünglich zur Luftreinhaltung ab 2018 an bestimmten Tagen Fahrverbote für dreckige Diesel in der Landeshauptstadt Stuttgart vorgesehen. Zuletzt rückte sie davon aber ab - unter der Bedingung, dass eine Nachrüstung der Fahrzeuge möglich ist, die denselben Effekt hat wie Fahrverbote.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verteidigte diese Linie am Mittwoch. "Der Kurs war richtig. Er hat zu dem geführt, was wir wollten: dass wir zu Nachrüstungen kommen auf breiter Ebene." Kretschmann sagte, auch das Auto der Zukunft solle „made in Baden-Württemberg“ sein. Im Strategie Dialog, ein neues Format der Zusammenarbeit mit der Autoindustrie, will er deshalb Aktivitäten bündeln und nächste Woche konkret sechs Handlungsfelder bekanntgeben.
In der zweite Runde bezeichnete AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen den Ministerpräsidenten als „Faktenflüchtling“ und sprach von Phrasendrescherei. Für Stoch zeigte der Redebeitrag Kretschmanns, „wer hier im Land die Hosen anhat“ bei der Mobilität. „Grüne und CDU haben keine gemeinsamen Vorstellungen davon, wie die Zukunft gestaltet werden soll“, kritisierte der SPD-Fraktionschef.
Angesichts der Debattenfolge am Mittwoch meinte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, „die Grünen kommen mit dem Fahrrad und die CDU mit dem Auto. Es sei Technologie-Offenheit gefordert und nicht die Innovations-Peitsche.
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) forderte eine „energieoffene Diskussion“. Sie werde für die Strategieoffensive einen Transformationsrat einsetzen. Außerdem will sie sich dafür einsetzen, dass in Baden-Württemberg Batterie-Produkte produziert werden. Die Ministerin will die E-Mobilität voranbringen, gleichzeitig aber den Verbrennungsmotor nicht vernachlässigen.