STUTTGART. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) hat bei der Parlamentsdebatte über die neue Corona-Verordnung die Bevölkerung aufgerufen, sich gegenseitig zu schützen. Um das Wirtschaftsleben aufrecht- und die Schulen offenzuhalten sowie Kontakte in Alten- und Pflegeheimen zu ermöglichen, „haben wir uns darauf verständigt, dass wir die Eindämmung der Pandemie bekämpfen, indem wir unser Verhalten im privaten Raum verändern.“ Es sei aber Licht am Ende des Tunnels sichtbar nach der ersten Zulassung eines Impfstoffes. „Wenn wir uns jetzt beschränken“, so der Sozialminister, „haben wir die ganz große Chance, dass wir das neue Jahr entspannter weiterentwickeln können.“
Der Grüne verteidigte die Maßnahmen als „grundsätzlich sehr praktikabel bewährt“. Sie umfassten im Wesentlichen: „Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit und privat ist nur mit maximal zwei Haushalten und höchstens fünf Personen gestattet; Kinder bis einschließlich 14 Jahre sind hiervon ausgenommen; über Weihnachtstage sind Treffen bis maximal zehn Personen insgesamt erlaubt; auch hiervon sind Kinder ausgenommen; bestimmte Einrichtungen, die darauf ausgerichtet sind, dass Menschen dort zusammenkommen, sind für einen begrenzten Zeitraum weiterhin vorübergehend geschlossen; der Groß-und Einzelhandel bleibt zwar geöffnet, allerdings wird der Zugang, gestaffelt nach der Größe der Verkaufsfläche, beschränkt."
Für die CDU bekannte Raimund Haser mit zahlreichen Maßnahmen zu hadern, und auch damit, dass nicht wie es Tradition in seiner Familie gemeinsam Weihnachten gefeiert werden kann, denn „das wären 28 Personen“. Er hadere als Wintersportler „und als direkter Nachbar zu meinen österreichischen und Schweizer Freunden auch mit der rigiden Haltung gegenüber diesem wunderbaren Freiluftsport, der für unsere Nachbarländer eben mehr ist als nur Unterhaltung“. Und er hadere –wie viele andere auch mit Silvester, „und vielleicht müssen wir darüber auch noch einmal reden“. Aber: „Wenn wir eine Pandemie besiegen möchten, geht es nicht um das kleine Karo und nicht um die Einzelfrage, es geht nicht um unsere eigene Befindlichkeit.“ Man brauche „nur nach links und rechts schauen, wie Corona täglich in anderen Staaten wütet und nicht nur enttäuschte Tennisspieler und Skifahrer zurücklässt, sondern Witwen und Witwer“.
Thomas Poreski (Grüne) lobte das "besonnene und zielgerichtete Handeln, für das unser Ministerpräsident Kretschmann steht“. Gebraucht würden „keine Lautsprecher und keine kurzatmigen Effektheischer, sondern klare Entscheidungen, Transparenz, Mitbestimmung und offene Debatten". Poreski verwies auch auf die hohe Zustimmung in der Bevölkerung: „Laut ZDF-Politbarometer halten 50 Prozent der Menschen die aktuellen Maßnahmen für angemessen.“ 31 Prozent sagten sogar, dass die Maßnahmen härter ausfallen müssten.
Kritik übten die Redner von SPD und FDP. Für letztere beklagte Nico Weinmann die Widersprüchlichkeit von Maßnahmen und vor allem „die ausschließliche Fokussierung auf die Sieben-Tage-Inzidenz“. Sie begegne doch immer wieder „fachlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken“. Der Heilbronner FDP-Abgeordnete plädierte stattdessen für ein Ampelsystem als „Bewertungsmaßstab, der beispielsweise neben den insgesamt durchgeführten Testungen auch die Situation der tatsächlich Erkrankten, die Infektiosität sowie die Behandlungskapazitäten vor Ort berücksichtigt“.
Zudem müsse sich zeigen, ob die Beschlüsse der Ministerpräsidenten und die Umsetzung des Landes vor den Gerichten standhielten und wie es mit der Hotspot-Strategie weitergehe: „Das wenige, was wir bislang wissen, kann etwa zu widersinnigen Ausweichbewegungen der Bürger auf benachbarte Kreise führen.“ Nicht nachvollziehbar sei ebenso „das Verbot, in einer Tennishalle auf mehreren Plätzen gleichzeitig zu spielen, obwohl dabei keinerlei Kontakt zwischen den Spielern besteht“. Es werde auch kaum ein Hotel für vier Tage den Betrieb hochfahren, „so dass sich Familien in den Weihnachtstagen rund um die Uhr in beengten Wohnungen aufhalten müssen“. Und das Hickhack um den Beginn der Schulferien zeuge von einem "chaotischen Management" im Kultusministerium.
Der Mannheimer SPD-Abgeordnete Boris Weirauch kritisierte, wie die Landesregierung abermals eine Verordnung auf den letzten Drücker erlasse. „Die Menschen im Land hatten sage und schreibe knapp zwölf Stunden Zeit, die Maßnahmen entsprechend umzusetzen“, so Weirauch. Der Tipp seiner Fraktion sei, „weniger Streit, vielleicht zur Abwechslung mal an einem Strang ziehen, wie man das eigentlich von einer Regierung in so einer schweren Krise erwarten können sollte“.
Carola Wolle (AfD) nannte den Ansatz, das Infektionsgeschehen kontrollieren zu wollen, „offensichtlich gescheitert“. Denn nach jedem Lockdown folge unweigerlich eine neue Infektionswelle und eine neue Insolvenzwelle. Die einzige Konsequenz sei zu erkennen, „wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, weil es uns noch monatelang begleiten wird“.