Stuttgart. Baden-Württemberg soll vom Automobilland Nummer 1 zum Mobilitätsland Nummer 1 werden. Dies kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch in seiner Regierungsinformation im Landtag an. Mit dem im Mai 2017 eingerichteten Strategiedialog habe das Land „ein einmaliges Format“ geschaffen, um zentrale Schlüsseltechnologien zu fördern, wie die E-Mobilität und alternative Antriebe, künstliche Intelligenz und autonomes Fahren sowie neue Geschäftsmodelle. Das Land gehe auch bei der Batterietechnologie in die Offensive. „Die Batterie ist die Schlüsseltechnologie der Elektromobilität“, sagte Kretschmann und erklärte, das wichtigste Bauteil des Elektrofahrzeugs dürfe nicht kampflos anderen überlassen werden.
Baden-Württemberg gehe in sieben strategischen Handlungsfeldern die wichtigsten Zukunftsaufgaben systematisch an, wobei die Ministerien für Wirtschaft, Umwelt, Inneres, Verkehr, Wissenschaft und die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung federführend seien. Mehr als 30 Sitzungen hätten stattgefunden, mehr als 80 Unternehmen und Institutionen seien beteiligt, berichtete Kretschmann. In zwei Bereichen sollen „europäische Leuchttürme“ installiert werden: Mit Unterstützung des Bundes werde das im Aufbau befindliche Zentrum für digitalisierte Batteriezellenproduktion gestärkt, um mit 60 Millionen Euro die Grundlage für die Serienproduktion von Batteriezellen im Südwesten zu schaffen. Außerdem soll in Freiburg das Europäische Prüf- und Kompetenzzentrum für Batterien und Energiespeichersysteme etabliert werden, wofür 24 Millionen Euro investiert würden.
Außerdem hat das Kabinett laut Kretschmann in dieser Woche zwölf Pilotprojekte des Strategiedialogs beschlossen, wie die Lernwerkstatt 4.0, den Transformations-Hub Elektromobilität, das Testfeld für autonomes Fahren beim KIT Karlsruhe, neue Lösungen fürs Ride-Sharing oder die Plattform Mobilität Kommunal 4.0. Der Ministerpräsident, der dreimal ans Rednerpult trat, will sich nicht mit „dem Blick in den Rückspiegel“ begnügen, sondern „jetzt alternative Antriebe voranbringen und den Weg vom fossilen zum post-fossilen Auto gehen.“ Sein Ziel sei die emissionsfreie Mobilität, betonte er mehrfach.
Die Opposition äußerte Kritik. Der Strategiedialog dürfe nicht „zur Alibiveranstaltung der Landesregierung missraten“, warnte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. Nicht alle Regierungsmitglieder würden das Zukunftsthema ergebnisoffen diskutieren. Er zielte damit auf Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), dem er vorwarf, die „möglichst schnelle Verbannung des Verbrennungsmotors“ anzustreben. Die Landesregierung zeige den Menschen den Weg ins neue Mobilitätszeitalter nicht auf. Er forderte Kretschmann auf, nicht in den Rückspiegel, „sondern durch die Windschutzscheibe“ nach vorne zu blicken.
Stoch kritisierte , dass Arbeitnehmervertreter erst auf Druck von außen zum Strategiegipfel eingeladen wurden. Grün-Schwarz müsse die Sorgen der Beschäftigten um ihren Job angesichts des Wandels in der Autoindustrie ernster nehmen. „Was machen die Arbeitnehmer, die heute bei Daimler oder Bosch für die Herstellung von Dieselfahrzeugen verantwortlich sind?“, fragte er. Eine erfolgreiche Transformation der Automobilindustrie könne nicht ohne diejenigen erfolgen, die diese umsetzen sollen. Der SPD-Fraktionschef forderte, vor Verhängung von Fahrverboten die Software und Hardware zu Lasten der Hersteller nachzurüsten. Man brauche einen Mix an Mobilitätskonzepten, eine Vernetzung der Verkehrsträger und Technologieoffenheit bei den Antriebskonzepten.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel warnte davor, dass angesichts des Zugrunderedens des Verbrennungsmotors die hiesige Automobilindustrie mit 230 000 Arbeitsplätzen und 120 000 bei den Zulieferern „bald denselben Weg gehen“ könnte wie die deutsche Uhren- und Möbelindustrie, Unterhaltungselektronik, Hauselektrogeräte, Telekommunikation und Optik. Er warf den Grünen „schädliche weltanschauliche Technologie-Gängelung“ vor. Die einseitige Festlegung auf Elektromobilität sei „eine teure Sackgasse“. Denn mit der unmissverständlichen Weigerung von Bosch, Batteriezellen zu produzieren, sei das Kernstück von Kretschmanns E-Mobilitätsoffensive bereits tot. „Im Grunde ruinieren Sie mit Ihrem Wunschdenken nur die selbstbestimmte Mobilität“, sagte Gögel. Bei vernünftigen politischen Rahmenbedingungen sei die „bewährte, wirtschaftliche Technologie Verbrennungsmotor durchaus zukunftsfähig“.
Auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bemängelte, der Dialog sei bisher im höchsten Maße elektromobilitäts- und batterielastig. „Motor- und Getriebefertigungen werden in den Hintergrund treten und damit Schlüsseltechnologien für Baden-Württemberg. Wer ausschließlich E-Mobilität in den Mittelpunkt stellt, wird tausende Arbeitsplätze hierzulande gefährden“, warnte Rülke. Der Liberale mahnte, für die Technologieoffenheit gebe es Alternativen wie die Power-to-Gas-Lösungen, die Entwicklung synthetischer Kraftstoffe, die Entwicklung des eGas-Antriebs oder die Brennstoffzellentechnik. Angesichts der Beschwörung des Klimawandels sei der Kampf der Grünen gegen den Diesel unerklärlich. Die jüngste Forderung der Grünen im Stuttgarter Gemeinderat nach einer Nahverkehrsabgabe oder Fahrverbote lehnte der Liberale ab. Auch die Blaue Plakette sei faktisch eine Enteignung der Dieselfahrer. Nicht nur Handwerker, sondern alle Dieselfahrer müssten von Fahrverboten verschont bleiben. Fahrverbote seien „ein Anschlag“ auf die Automobilhersteller und die Zulieferer.
Die Fraktionschefs der Grünen und der CDU bewerteten dagegen die Information des Ministerpräsidenten positiv und bestärkten den Regierungschef, seinen Kurs fortzusetzen. Der Strategiedialog sei ein Gewinn für den Klima- und Gesundheitsschutz und sichere die Zukunft des Landes, sagte Andreas Schwarz (Grüne). Dadurch halte man Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Baden-Württemberg. Die Zukunft gehöre einer Mobilität, die den Menschen „eine freie Wahl ihres Verkehrsmittels“ ermögliche. Schwarz gibt die Hoffnung nicht auf, dass in Baden-Württemberg die „besten und umweltverträglichsten Batterien“ produziert werden. „Wir wollen, dass die Mobilitätsleistungen und Fahrzeuge der Zukunft weiterhin aus Baden-Württemberg kommen“, betonte der Grüne. Er forderte die Industrie auf, für „ehrliche Testverfahren“ bei der Überprüfung von Schadstoff- und Kohlendioxid-Ausstoß zu sorgen. Es müsse Schluss sein mit Betrugssoftware und trügerischen Verfahren, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Baden-Württemberg müsse „einen Fuß in die Tür zur Batterieproduktion der Zukunft“ stellen, sagte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Die Batterie sei immer noch so etwas wie „die Achillesferse der Elektromobilität“, da sie über Reichweite, Kosten, Schnellladefähigkeit und damit letztlich über die Qualität von Elektroautos entscheide. Allerdings sei es keinesfalls ausgemacht, wie die Antriebe der Zukunft genau aussehen: „Experten halten auch batterie-elektrische Fahrzeuge nur für eine Übergangstechnologie.“ Auch Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe müssten im Spiel bleiben. Reinhart konstatierte, die Politik müsse die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen erfüllen, aber nicht, „sie beschränken und reglementieren“. Dazu gehört für den CDU-Politiker auch, saubere Luft „möglichst ohne Fahrverbote“ zu schaffen. Bevor ein Auto ausgesperrt werde, müssten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Auch die Blaue Plakette könne höchstens die ultima ratio sein. Das Ziel, Mobilitätsland Nr. 1 zu werden, sei für den Standort Baden-Württemberg „die Chance unserer Zeit“. Zukunftsmobilität heiße smarte Fahrzeuge, weniger Staus, saubere Luft, mehr Komfort und mehr Freiheit. „Das geht nicht gegen das Auto, sondern nur mit dem Auto“, konstatierte Reinhart.
Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) sagte, Baden-Württemberg sei in der Schlüsselfrage Mobilitätszukunft „technologieoffen aufgestellt“. Der Mobilitätsmarkt sei hoch attraktiv, „alle wollen ein selbstfahrendes Auto bauen“. Zum Diesel urteilte sie, dieser werde gebraucht, müsse aber die Schadstoffwerte reduzieren. Bei den Antriebssystemen der Zukunft soll es aus Sicht der Ministerin „ein passgenauer Mix“ geben. Elektrische Antriebe würden „immer wichtiger“, nicht nur bei Autos, sondern auch bei anderen Maschinen. Deshalb ist Hoffmeister-Kraut davon überzeugt, dass die digitale Batterieproduktion 4.0 in Baden-Württemberg wahrgenommen werden kann.