Stuttgart. Die grün-schwarze Landesregierung will ihren Kampf gegen den Klimawandel konsequent fortsetzen. Dazu sei auch die Mithilfe der Gesellschaft notwendig, sagten Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) und Agrarminister Peter Hauk (CDU) am Donnerstag in der von den Grünen beantragten aktuellen Debatte „Zunahme extremer Wetterereignisse im Land – welche Folgen bringt der Klimawandel für Baden-Württemberg?“. Beide Minister wiesen auf die Zunahme und Häufigkeit extremer Wetterereignisse hin, was gravierende Folgen habe.
„Neben den vielfältigen Maßnahmen des Landes und der Branche zum Schutz vor den Klimafolgen brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die die Belange unserer Landwirte stärker in den Mittelpunkt stellt und sie nicht einseitig zum Buhmann macht“, sagte Hauk. Es könne nicht sein, dass diejenigen, die mit ihrer Arbeit für Klimaschutz und für hochwertige regionale Produkte stehen, am Ende die Zeche für einen Klimawandel zahlen, den die gesamte Gesellschaft verursacht habe. Die Frostschäden im April („ein Jahrhundertereignis“) hätten gezeigt, dass jetzt gehandelt werden müsse. „Die Landwirte wollen Lösungen und keine Hilfen, wenn Katastrophen eingetreten sind.“
Dies gelte auch für die Waldwirtschaft im Land. Bewirtschaftete Wälder seien hervorragende Klimaschützer und Holz sei ein überaus energieeffizienter Rohstoff, der das in im gespeicherte Kohlendioxid nahezu unbegrenzt speichern könne. Als Handlungsfelder bezeichnete Hauk die Frostberegnung im Wein- und Obstbau, die Bewässerung bei Trockenheit im Sommer, Umbau des Waldes („die Fichte wird zur Rarität, wärmeliebende, trockenresistente Bäume wie die Douglasie werden zunehmen“) und die Wald- und Holznutzung.
Untersteller erklärte, es mache keinen Sinn, auf Einzelereignisse zu schauen. Die Temperaturen hätten von 1881 bis 2015 global um 0,85 Grad zugenommen, in Baden-Württemberg aber um 1,3 Grad – „ein Phänomen“. Es gebe auch immer mehr Extreme, die Zahl der Hitzetage – das sind Tage, an denen es mindestens 30 Grad warm wird- könne am Oberrhein und in der Rhein-Neckar-Region bis zur Mitte des Jahrhunderts von derzeit 10 auf 35 Tage steigen, bis zum Ende des Jahrhunderts sogar auf 50 Tage. Unter Hinweis auf den Extremsommer 2003 verwies der Umweltminister auf die Gefahren für die Menschen; damals sei die Zahl der Hitzetoten deutlich gestiegen.
Im Murgtal beginne die Apfelblüte im Schnitt 13 Tage früher als vor 25 Jahren. „Tendenziell wird die Blüte früher beginnen, Spätfröste werden trotzdem da sein“, sagte Untersteller. Stürme würden sich häufen, Hagel auch – mit finanziellen Folgen. Der Minister bezifferte die Hagelschäden 2013 auf 1,25 Milliarden Euro, die Schäden durch den Orkan Lothar 1999 auf 8,6 Milliarden Euro. Klimaschutz sei keine Glaubensfrage, konstatierte Untersteller. Deshalb entziehe sich die Landesregierung nicht der Verantwortung. „Wir tun alles, um uns so gut wie möglich dem Klimawandel anzupassen.“ Dazu gehört auch der Hochwasserschutz im Südwesten.
Auch die Abgeordneten der Fraktionen – außer der AfD - wiesen auf die Folgen des Klimawandels hin. Der AfD-Abgeordnete Rainer Podeswa hingegen sagte, extreme Wetterereignisse habe es auch in früheren Jahrhunderten gegeben. Wissenschaftlich eindeutige Beweise für eine Erwärmung Deutschlands gebe es nicht. Damit stand Podeswa freilich allein.
Bettina Lisbach (Grüne) forderte neben der Energie- und Verkehrswende auch eine andere Siedlungspolitik mit Grünanlagen und Luftschneisen oder klimagerechter Wald. „Klimawandel betrifft uns alle und unmittelbar“, stellte Lisbach fest. Die Biobäuerin Martina Braun (Grüne) befürchtet den Verlust der Artenvielfalt, das Auftauchen neuer Schädlinge, rutschende Hänge durch Starkregen, sinkende Grundwasserspiegel und Baumsterben. Man solle sich auf die Wetterextreme einstellen, sagte sie. Sie wolle nicht, dass noch mehr Bauernhöfe im Südwesten dichtmachen.
Für Paul Nemeth (CDU) ist der Klimawandel „real und von Menschen gemacht“. Das Thema sei von lokaler und mehr von globaler Wichtigkeit, gerade auch angesichts 1,4 Milliarden Menschen, die an Küsten leben. Grün-Schwarz habe deshalb den Kampf gegen den Klimawandel zum wichtigen Thema in den Koalitionsverhandlungen gemacht. Die gesellschaftliche Debatte müsse versachlicht und intensiviert werden.
Nemeths Fraktionskollege Patrick Rapp forderte Hilfen für die Landwirte, auch in Form von Zuschüssen für Versicherungen. Die Baden-Württemberger seien auf regionale Produkte angewiesen. Auch der Forstwirt beobachte die Verdrängung heimischer Arten und die Einwanderung fremder Pflanzen, Sträucher und Bäume. Den Mix der Baumarten in Baden-Württemberg bezeichnete er als vorbildlich.
„Wir können die von Menschen gemachte Klimaerwärmung und -veränderung nicht mehr zurückdrehen, wohl aber unserer Verantwortung gegenüber unseren Kindern und Enkeln gerecht werden und die Klimaerwärmung begrenzen, um die Folgen einigermaßen zu beherrschen“, urteilte Gernot Gruber (SPD). Obwohl Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Regionen in der Welt oft noch glimpflich davonkomme, hätten der Spätfrost vor zwei Wochen gezeigt, dass der Klimawandel den Weinbau und die Landwirtschaft auch kritisch treffen kann. Der Schaden für Obstbauern und Winzer sei so groß, weil der Frost in dem Moment eintrat, da die Blüte schon weit fortgeschritten war.
„Der Staat kann nicht alle Risiken ausgleichen und auffangen“, sagte Gruber. Erleichterungen wie das Vorziehen von Auszahlungsterminen von Fördermitteln, die bessere steuerliche Geltendmachung von Verlusten und vor allem die Bildung steuerfreier Risikorücklagen sind Möglichkeiten, müssten jedoch möglich sein.
Andreas Glück (FDP) verwies auf den seit den 1980er-Jahren laufenden Trend zu mehr Naturkatastrophen durch Hagel-, Trocken-, Frost- und Hochwasserschäden. Dennoch dürfe man nicht, wie dies die Landesregierung tue, alle Katastrophen auf den Klimawandel zurückführen. „Es gibt auch andere Ursachen“, sagte Glück und nannte als ein Beispiel die Oberflächenversiegelung.
Für die Landwirte forderte der Liberale steuerfreie Rückstellungen. Außerdem sprach er sich gegen die Windkraft-Subventionen „im windärmsten Land“ aus. Nationale Alleingänge wie Deutschland mit dem EEG bringen aus Glücks Sicht nichts. Die FDP setze dagegen auf den Emmissionshandel.