Stuttgart. Schulterschluss im Landtag: In einer gemeinsam beantragten aktuellen Debatte zu den Terroranschlägen von Paris haben alle vier Fraktionen am Mittwoch dem islamistischen Terror den Kampf angesagt. Rechtsstaat und wehrhafte Demokratie seien die Antwort auf Terroristen und Fanatiker, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). „Bei uns gilt das Recht der Stärke und nicht das Recht des Stärkeren“, betonte der Regierungschef.
Kretschmann warnte davor, in der jetzigen Krisensituation drei Fehler zu begehen. Aktionismus und Schnellschüsse seien nicht angebracht, Sicherheit und Freizeit müssten in eine gute Balance gebracht werden. Zudem dürfte der Terrorismus nicht mit der Flüchtlingsdebatte vermengt werden. Das Land werde weiterhin den Schutz der Flüchtlinge gewährleisten und „Ordnung in die Dinge bringen“. Der dritte Fehler aus Sicht des Ministerpräsidenten wäre, wenn sich die Gesellschaft „spalten“ ließe. Man müsse Einigkeit demonstrieren und gegen jede Form des Fanatismus vorgehen.
„Wir dürfen unser freies Leben nicht von Terroristen zerstören lassen“, sagte Kretschmann. Sonst hätten die Mörder und Menschhasser gewonnen. Für die Landesregierung habe Sicherheit oberste Priorität. „Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit“, konstatierte der Grünen-Politiker. Andererseits müsse man „besonnen“ mit der aktuellen Situation umgehen. Kretschmann forderte, durch eine bessere Prävention das Abdriften jungen Menschen in terroristische Organisationen zu verhindern. Im Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris wies der Regierungschef auf die 460 Partnerschaften zwischen baden-württembergischen und französischen Städten hin. Gerade dort, wie im ganzen Land, spüre man Mitgefühl und Solidarität. Kretschmann sagte, „unsere Werte und unseren selbst bestimmten Lebensstil werden wir gegen jede Form von Gewalt verteidigen“.
Zuvor hatten alle vier Fraktionsvorsitzenden die parteipolitischen Unterschiede zurückgestellt und sich geschlossen den Terror gewandt. Man stehe erschüttert, aber fest an der Seite der französischen Freunde, erklärte Guido Wolf (CDU). Die feigen Angriffe sollten nicht nur Paris treffen, sondern alle freie Menschen. „Ziel waren wir Alle, die Schüsse galten der Menschlichkeit“, sagte Wolf. Ziel der Barbarei sei es, Hass und Angst zu schüren. „Wir lassen uns aber nicht einschüchtern“, erklärte der CDU-Fraktionschef. Wolf warf auch die Frage auf, ob die Sicherheitsnetze in Baden-Württemberg ausreichend sind. Ist das Land auf solche Akte vorbereitet?, fragte er. Er sprach sich gegen Parallelgesellschaften und Ghettos in Deutschland aus. Außerdem bedeutet Integration für Wolf nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache, sondern auch das Akzeptieren „unserer Werte“.
Auch Edith Sitzmann (Grüne) teilte „Entsetzen und Trauer“ mit den französischen Nachbarn. Alle im Landtag seien erschüttert, zeigten Mitgefühl und stünden zu Frankreich. Die Grünen-Fraktionschefin wies darauf hin, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gegen radikale Selbstmordattentäter gibt. Der Terror von Paris sei auch kein Einzelfall; Sitzmann erinnerte an die Anschläge in Madrid, London, Paris, Ankara, Beirut und das Attentat auf das russische Flugzeug über dem Sinai. Sie sprach von einer „verlorenen Generation“, die sich aus Perspektivlosigkeit dem Terror anschließe. Mangelnde Perspektiven seien der Nährboden für Gewalt. Deshalb gebe man in Baden-Württemberg den Jugendlichen Perspektiven, sagte Sitzmann. Auch der Islam-Unterricht sei ein wichtiges Signal. Grün-Rot habe nach dem Anschlag im Januar in Paris schon ein Sonderprogramm aufgelegt.
Als gutes Zeichen bewertete Claus Schmiedel (SPD) die Debatte, mit der der Landtag Gemeinsamkeit demonstriere. Er verwies auf die blutige Spur der Terror-Organisation , die diese weltweit hinterlasse. „Wir bieten dem Terrorismus die Stirn“, sagte er. Um den Terror zu besiegen, sei ein gemeinsames, internationales Vorgehen notwendig. Auch der SPD-Fraktionschef ging auf die Lage in Baden-Württemberg ein: Die Frage stelle sich, ob das Land gut ausgestattet ist. „Wir werden prüfen, ob wir nachsteuern müssen“, kündigte Schmiedel an. Im zweiten Nachtragshaushalt werde die Schlagkraft der Polizei erhöht und der Vollzugsdienst um 216 Stellen gestärkt. Ohnehin sei die Polizei personell aufgestockt worden, denn 5600 Neueinstellungen stünden nur 3200 Pensionierungen gegenüber. Für Schmiedel heißt Null-Toleranz gegen Gewalt auch Null-Toleranz gegen das Tolerieren der und Sympathie für Gewalt. Er ist davon überzeugt, dass in Baden-Württemberg ein „Höchstmaß an Sicherheit“ gewährleistet ist.
Von Schock über die Morde und Mitgefühl mit den Opfern sprach auch Hans Ulrich Rülke (FDP). Die Attentate seien gegen die westliche Kultur und die Freiheit gerichtet gewesen. Alle demokratischen Kräfte müssten sich gegen den Terrorismus stellen, forderte er. „Terrorismus hat keine Chance, wenn Demokraten zusammenstehen.“ Gleichzeitig warnte er vor einer Verknüpfung der Terrorakte mit dem Flüchtlingsthema; die Mehrheit der Flüchtlinge würde ja genau vor diesem Terror ihr Land verlassen. Um solchen Bedrohungen zu begegnen, sei „Wehrhaftigkeit des Staates“ notwendig. Der Liberale sprach sich dafür aus, Polizei und Verfassungsschutz zu stärken. Es sei falsch, das Landesamt für Verfassungsschutz personell zu schwächen und zwölf Stellen abzubauen. Die Bevölkerung erwarte vom Landtag, dass die Sicherheitsbehörden die notwendigen Mittel erhalten. Rülke sprach sich auch für eine Steuerung und Kanalisierung der Zuwanderung aus. Die Menschen, die nach Deutschland kommen, müssten sich einordnen „in unsere Rechtsordnung und diese akzeptieren“. Man brauche einen Plan zur gesellschaftlichen Integration.
Vor der aktuellen Debatte hatte Landtagspräsident Wilfried Klenk (CDU) mit Gedenkworten die 142. Sitzung des Landtags eröffnet. „Wir sind betroffen – und getroffen“, sagte er. Nicht allein wehrhafte Entschlossenheit sei geboten, sondern auch kluge Besonnenheit. „Unser Mut zur Freiheit, die wir meinen, darf nicht erlahmen“, betonte Klenk. Am „Tag fünf nach den islamistischen Massakern“ erinnerte der Präsident auch an den verstorbenen früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), den „unerschütterlichen Freund Frankreichs“ und überzeugten Europäer. Danach gedachte der Landtag mit einer Schweigeminute den Opfern und „manifestierte unsere unbeugsame Einigkeit“, wie Klenk sagte.