Stuttgart. Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg steht nach Ansicht von Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor großen Herausforderungen. Angesichts extrem steigender Einsatzzahlen habe es im vergangenen Jahr mehr Personal und mehr Sachleistungen „leider keine Verbesserungen“ gegeben, berichtete der Minister am Mittwoch im Landtag.
Als zentrales Aufgabenfeld der gesundheitlichen Daseinsvorsorge verfüge das Land über 170 Notarztstandorte, 400 Rettungswagen und 8 Hubschrauber. Dennoch reichten diese wegen der stark steigenden Einsatzzahlen nicht aus, um die Lage zu verbessern. Strobl sagte, die Notfalleinsätze seien im vergangenen Jahr um 10 Prozent auf 280 000 enorm gestiegen. „Dies bedeutet, dass wir jeden Tag 79 Notfalleinsätze in Baden-Württemberg haben.“ Ein Millionen Mal seien Rettungswagen angefordert werden – 75 000 Einsätze oder 7 Prozent mehr als 2014. Auch die Zahl der Krankentransporte sei explodierend auf über 800 000 (+ 50 000) gestiegen.
Die Rettungskette sei ein komplexes System, „das wir optimieren müssen“, betonte Strobl. Er sieht in den Leitstellen die „entscheidende Schnittstelle“. Deshalb will der Minister die Entwicklung einer neuen Leitstellen-Konzeption als zentrales Thema vorantreiben. Oftmals sei der Rettungsdienst zu lange gebunden, etwa im ländlichen Raum, wo Einsätze schon mal vier Stunden lang dauern würden. Auch der Missbrauch der Dienste als Krankentransporte sowie Fachkräftemangel würden die Arbeit erschweren. Deshalb könne die vorgegebene Hilfsfrist von nicht mehr als zehn Minuten, höchstens 15 in 95 Prozent im Rettungsdienstbereich, teilweise nicht eingehalten werden. „Vieles wurde getan, vieles bleibt zu tun“, lautete das nüchterne Fazit des Innenministers.
Strobl verwahrte sich scharf gegen die von Claudia Martin (AfD) erhobenen Vorwürfe der Vetterleswirtschaft und Korruption im Rettungswesen. Diese „ungeheuerlichen Vorwürfe“ weise er mit aller Entschiedenheit zurück; sie seien ein Schlag ins Gesicht der Rettungsorganisationen, wetterte Strobl unter dem Beifall der Fraktionen von Grünen, CDU, SPD und FDP. Martin hatte zu Lobbyismus beklagt, denn in Baden-Württemberg sei der Rettungsdienst „fest in der Hand des DRK“. Dies sei einzigartig in Deutschland, kritisierte die AfD-Abgeordnete die Monopolstellung des DRK, das 85 Prozent des Rettungsdienstes betreibe. Das DRK habe sich eine Struktur in der Politik aufgebaut. Martin kritisierte, Baden-Württemberg sei für einen Katastrophenfall nicht gewappnet. Sie forderte eine breitere Aufstellung und eine Reduzierung der 37 Leitstellen im Südwesten.
Auch Rainer Hinderer (SPD) verwahrte sich gegen Tiraden gegen große Hilfsorganisationen. „Eine Frechheit“, sagte der Abgeordnete. Er forderte eine bessere Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen. Die Hilfsfrist von 10 Minuten müsse bleiben, um eine bedarfsgerechte Versorgung von Patienten zu gewährleisten. Insgesamt sprach er sich für eine Verbesserung der Rettungskette vom Eingang des Notrufes bis zur Übergabe ins Krankenhaus aus.
Baden-Württemberg sei bei den Hilfsdiensten noch nie Spitze gewesen, erklärte Ulrich Goll (FDP). Der Rettungsdienst kranke, seit Jahren komme man bei den gesetzlichen Vorgaben auf schlechte Zahlen. „Man muss befürchten, dass es eine Dunkelziffer gibt, von Menschen, die sterben, weil der Rettungsdienst nicht rechtzeitig da ist“, sagte Goll. Dies sei fatal. Zwar dürfe man nicht nur auf die Hilfsfrist starren, zumal das Zahlenmaterial dazu in Baden-Württemberg „ziemlich dürftig“ sei; aber andere Länder, beispielsweise Hessen, seien besser. Dort kämen acht Rettungswagen auf 100 000 Bewohner, in Niedersachsen sogar 10, in Baden-Württemberg jedoch nur 5. Außerdem herrsche akuter Personalmangel. Goll sprach sich für eine stärkere Einbindung anderer, auch privater Rettungsdienste aus. Er wies auf Aussagen des Notärzteverbunds hin, wonach die Selbstverwaltung nicht gut funktioniere. „Deshalb erwarten wir überzeugende Antworten der Landesregierung“, sagte Goll.
Andrea Schwarz (Grüne) wies auf die wichtige Rolle der vielen Ehrenamtlichen im Rettungsdienst hin. Dieser sei „bedarfsgerecht aufgestellt“. Sie riet zur Besonnenheit, auch wenn Verbesserungen möglich seien. Der Fokus dürfe nicht nur auf die Hilfszeiten gelegt werden, sondern auf die gesamte Rettungskette. In dieser Rettungskette sieht auch Siegfried Lorek (CDU) den Ansatzpunkt. Die Fristen für Hilfszeiten seien ehrgeizig, dennoch sollten 15 Minuten die Ausnahme sein. Mit dem Rettungsdienst-Gesetz habe man 2015 die Dienste gestärkt und mehr Rettungsfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Allerdings verwies auch er auf steigende Einsatzzahlen und forderte deshalb Entlastung von Aufgaben. Notfallsanitäter könnten aus seiner Sicht die Notärzte entlasten.