Stuttgart. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) hält an ihrem Plan für ein flexibleres Arbeitszeitrecht fest. „Niemand, und schon gar nicht die CDU, will das durchschnittliche wöchentliche Arbeitspensum der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland erhöhen“, sagte sie am Donnerstag in der von SPD-Fraktion beantragten aktuellen Debatte „Die grün-schwarze Landesregierung und ihre Politik gegen die Interessen der Beschäftigten“ im Landtag. Die CDU-Politikerin reagierte damit auf die Kritik von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch, der ihrer Fraktion zuvor vorgeworfen hatte, diese Pläne seien „ein Schlag ins Gesicht für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, „eine Belohnung derer, die keine Tarifverträge haben wollen“ und „ein Freibrief für alle, denen der Schutz der Beschäftigten nicht so wichtig ist“.
Hoffmeister-Kraut erklärte, durch ihren Vorschlag verändere sich nicht die grundsätzliche Ruhezeit von elf Stunden in einem 24-Stunden-Zeitraum, nicht die durchschnittliche Wochenarbeitszeit, nicht das Recht auf Pausen, nicht die Ausgleichspflicht in einem Sechs-Monats-Zeitraum und es ändere auch nicht die Möglichkeit, tarifvertraglich alternative Regelungen zu vereinbaren. Es sei absurd, der Landesregierung vorzuwerfen, sie betreibe Politik gegen die Interessen der Beschäftigten: „Genau das Gegenteil ist der Fall.“ Im Koalitionsvertrag mit den Grünen sei vereinbart worden, das Thema „flexible Arbeitszeiten“ in den Blick zu nehmen. „Dies entspricht den Herausforderungen unserer modernen Arbeitswelt und den immer individuelleren Bedürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern“, konstatierte die Ministerin.
Stoch warf der CDU und der Wirtschaftsministerin vor, mit ihren geplanten Änderungen des Arbeitszeitgesetzes, für das der Bund zuständig ist und das seit 24 Jahren nicht mehr novelliert worden ist, nicht die Tarifpartnerschaft zu fördern, sondern Tarifflucht zu belohnen. Der CDU-Vorstoß sei ein „Frontalangriff“ auf die Interessen der Beschäftigten. Stochs Rat an die Landesregierung: „Stampfen Sie Ihren Vorschlag ein, denn er konterkariert alle Bemühungen um einen Ausgleich der Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.“ Wenn der CDU-Vorschlag umgesetzt würde, werde der 1Zwölf--Stunden-Arbeitstag in vielen Bereichen die Regel. Stoch appellierte: „Lassen Sie die Finger vom Arbeitszeitrecht in Deutschland.“ Hoffmeister-Kraut strebt eine Bundesratsinitiative an, um Vorschriften zur Dokumentation von Arbeitszeiten und die Arbeitszeitregelungen flexibler zu gestalten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte in der Vergangenheit Verständnis für die Probleme gerade in der Gastronomie gezeigt.
Der Vorstoß der Wirtschaftsministerin hatte allerdings für Kritik und Unmut bei den Grünen gesorgt, denen die Vorschläge viel zu weit gehen. Ein solcher Abbau des Arbeitsschutzes schade der Gesundheit der Arbeitnehmer und sei wirtschaftspolitisch falsch, hatte Andrea Lindlohr (Grüne) ablehnend reagiert. In der Debatte am Donnerstag gab sich die Grünen-Abgeordnete jedoch moderater. Lindlohr räumte ein, dass die moderne Arbeitswelt „mehr souveräne Arbeitszeitgestaltung“ benötige. Immer mehr Digitalisierung verändere die Arbeitswelt. Deshalb sei im Koalitionsvertrag mit der CDU „mehr Flexibilität“ bei den Arbeitszeiten vereinbart worden. Lindlohr erinnerte jedoch daran, dass das Arbeitszeitgesetz ein elementarer Teil des Arbeitsschutzes und auch Gesundheitsschutz sei und für alle Beschäftigten, überall in Deutschland und in den verschiedenen Branchen, gelte. Man warte auf die große Koalition in Berlin und deren Vorschläge zu neuen Tariföffnungsklauseln. „Kommen die nicht, machen wir selbst einen Vorschlag“, kündigte Lindlohr an.
Neue Formen der Arbeit und neue Arbeitszeitmodelle seien gefragt, sagte Claus Paal (CDU). Viele Bestimmungen des geltenden Gesetzes würden „aus einer anderen Arbeitswelt“ stammen. Deshalb habe die CDU die Flexibilisierung „auf dem Schirm“. Es müssten aber „dicke Bretter gebohrt“ werden, um das Bundesgesetz zu ändern. Nach den Plänen seiner Fraktion soll künftig eine Tagesarbeitszeit von 12 Stunden (bisher 10) und eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 54 Stunden (bisher 60) möglich sein. „Gesunde Unternehmen sind uns genauso wichtig wie gesunde Arbeitnehmer“, stellte Paal fest. Deshalb rege die CDU diese Änderungen im Rahmen der Tarifpartnerschaft an. Aus der Grünen-Fraktion kam zu Paals Beitrag nur dürftiger Beifall.
Auf vier Punkte fokussierte Carola Wolle (AfD) ihren Beitrag: Sichere Arbeitsplätze, gerechte Entlohnung, flexible Arbeitszeiten und gesicherte Altersversorgung. Sie warf der Landesregierung vor, die E-Mobilität zu fördern und den Dieselmotor zu verteufeln. Die Sicherung von 200 000 Arbeitsplätzen in der Autoindustrie sei bei Grün-Schwarz „offenbar nachrangig“. Leiharbeit verhindere eine leistungsgerechte Entlohnung der Beschäftigten. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten müsse gesetzgeberisch begleitet werden. Grundsätzlich begrüße die AfD die CDU-Initiative zur Arbeitszeit; Arbeitnehmer dürften aber nicht einseitig belastet werden. Wolle beklagte, die Renten seien nicht sicher, 20 Prozent der Rentner seien deshalb erwerbstätig.
Aus Sicht von Erik Schweickert (FDP) wachse sich das Thema Arbeitszeitgesetz zum „Spaltpilz der Koalition“ aus, den „die Gärtner Hoffmeister-Kraut und Wolf eifrig kultivieren, während die grüne Basis mit der Planierwalze durch den Wald fährt“. In der grün-schwarzen Zweckehe herrsche Krach. Dabei habe sich schon 2016 der Ministerpräsident gegenüber der Dehoga als Vorkämpfer in Sachen Arbeitszeitflexibilisierung gezeigt. Er begrüßte, dass die Wirtschaftsministerin die Vereinbarung im Koalitionsvertrag erfüllen will, und demnach den Wünschen der Beschäftigten nach mehr Arbeitszeitsouveränität und den Flexibilitätsanforderungen der Arbeitgeber Rechnung getragen werden soll. „Die Wirtschaftsministerin und der Ministerpräsidenten stehen bei der Gastronomie im Wort“, sagte Schweickert. Die FDP-Fraktion unterstütze die Initiative.