Große Wahlkreisreform wird wahrscheinlicher

09.10.2019 
Redaktion
 

STUTTGART. Auf Baden-Württemberg könnte in der nächsten Legislaturperiode eine größere Wahlkreisreform zukommen. Der Grund: Nach CDU-Angaben stehen 15 der 70 Wahlkreise in der Gefahr, unter oder über die noch zulässige Grenze für die Zahl der dort ansässigen Wahlberechtigten zu fallen. Aktuell werden allein die Wahlkreise Tübingen und Balingen neu zugeschnitten, „und das“, so Daniel Lede Abal (Grüne), „führt vor Ort zu erheblicher Kritik“.

Kombiniert  mit dieser Veränderung der Wahlkreise sind zwei weitere Punkte: ein Verbot der Gesichtsverhüllung für Mitglieder der Wahlorgane, also die offiziellen Helfer im Wahllokal, sowie eine gesetzliche Klarstellung, „dass das Wahlrecht nur einmal und nur persönlich ausgeübt werden darf". Das sei zwar schon bisher der Fall gewesen, aber jetzt werde es von einer expliziten Formulierung festgehalten, erläutert Daniel Lede Abal.

In der Landtagsdebatte zu einer weiteren Wahlrechtsänderung erklärte der CDU-Abgeordnete Arnulf von Eyb „nur noch einmal zur Klarstellung“ den Grundsatz der Gleichheit im Wahlrecht im Hinblick auf die Größe der Wahlkreise: „Die annähernd gleiche Wahlkreisgröße hat für das verfassungsrechtliche Gebot der Wahlrechtsgleichheit besondere Bedeutung, weil nur dann Parteien und ihre Wahlkreisbewerber gleiche Erfolgschancen haben“.

Abweichung von maximal 25 Prozent erlaubt

In Baden-Württemberg gibt es 7,75 Millionen Wahlberechtigte und 70 Wahlkreise, so dass der durchschnittliche Wahlkreis rund 110 000 Wahlberechtigte hat. „Und die gerade noch zulässige Grenze liegt bei einer Abweichung von plus/minus 25 Prozent“, so der CDU-Abgeordnete. Neben den jetzt notwendig gewordenen Veränderungen für den zu großen Wahlkreis Tübingen sind 15 weitere Wahlkreise in der Nähe dieser Grenzen. Deshalb müsse überlegt werden, „ob es nicht in Zukunft angeraten ist, sich mit diesem Thema etwas breiter zu beschäftigen“.

Für die Grünen wird Lede Abal noch deutlicher. Der Tübinger Abgeordnete erinnert daran, dass sein Wahlkreis „mehrfach und scheibchenweise verändert" worden sei. Es gebe deshalb Erwartungen in der Region, die aktuelle Neuabgrenzung vorläufig vorzunehmen, und vor allem die Hoffnung, „dass es nach der nächsten Landtagswahl zu einer grundsätzlichen Prüfung kommt, wie Wahlkreise und Wahlbevölkerung im Land über die Regionen verteilt sind“. Er bitte, dies in der Diskussion „im Hinterkopf zu behalten, auch wenn dieser Landtag angesichts der Fristen in dieser Legislaturperiode nicht darüber zu entscheiden hat“.

Änderung als Provisorium kritisiert

Timm Kern, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, kritisierte, dass die jetzige Änderung „nur ein kurz anhaltendes Provisorium bringt und keine langfristige Lösung“. Denn der Wahlkreis Tübingen werde auch nach der Verkleinerung noch deutlich größer bleiben als der Durchschnitt. „Bei gleicher Bevölkerungsentwicklung würde daher spätestens in einem Jahrzehnt wieder eine Verkleinerung des Wahlkreises erforderlich sein“, so Kern, „eine derart weitgehende Zersplitterung eines Landkreises auf mehrere Wahlkreise kann den dortigen Einwohnern aber nicht zugemutet werden.“ Auch er sprach sich dafür aus, dass der Landtag zu Beginn der neuen Legislaturperiode interfraktionell eine nachhaltige und langfristige Reform der Wahlkreiszuschnitte auf den Weg bringt. Denn die sei „unumgänglich“.

Auch Jonas Weber (SPD) verlangte nach einer umfassenden Reform und kritisierte scharf, dass die Regierungsparteien nach dem Frühjahr 2019 „binnen nur eines Jahres zum zweiten Mal eine Änderung des Wahlrechts einbringen, ohne ein inklusives Wahlrecht für alle einzuführen". Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention zur Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben sehe vor, dass Menschen mit Behinderung ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit allen anderen wahrnehmen können müssen. Bis heute sei dies in Baden-Württemberg nur unzureichend gewährleistet.

Die AfD nutzte die Debatte, die „nicht an der Oberfläche“ bleiben dürfe, zum Rundumschlag gegen die anderen vier Fraktionen. „Der Grundgedanke von Demokratie wird von den Abgeordneten der Regierung nicht gelebt und beachtet“, erklärte Rüdiger Klos.  Denn sie seien „teilweise" nicht bereit, Wahlergebnisse zu akzeptieren, zu respektieren und umzusetzen.


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