Stuttgart. Zum Auftakt der 139. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg am Mittwoch stand Winfried Hermann (Grüne), Minister für Verkehr und Infrastruktur, im Schussfeld der Kritik. Unter dem Motto „Wie nachhaltig ist grüne Verkehrs- und Bauordnungspolitik im Praxistest aktueller Herausforderungen?“ hatte die Fraktion der FDP im Vorfeld des Wohnungsbaugipfels am Nachmittag eine aktuelle Debatte beantragt. Nach Ansicht der Opposition hat Minister Hermann dem Land mit der Ankündigung von „Schnüffeltests“ auf der Straße im Zuge des Abgasskandals geschadet. Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) verteidigte für den abwesenden Minister dessen Politik als verantwortungsbewusst.
Jochen Haußmann von der FDP fuhr schweres Geschütz auf. Er geißelte die Ankündigung von "unangemeldeten Dopingkontrollen" für Autofahrer in Baden-Württemberg als schädlich für das Land. Der "dubiose Alleingang" des Ministers grenze an eine Verletzung des Amtseides. Kontrollen seien Bundesangelegenheit und lägen in der Kompetenz des Kraftfahrt-Bundesamtes. Da wirke es wie "moralisches Lametta", wenn der Ministerpräsident betone, wie wichtig die Autoindustrie für das Land sei. Versäumnisse warf der FDP-Politiker dem Minister auch bei der Infrastruktur vor. "Wir brauchen einen Quantensprung im Wohnungsbau", sagte er und verwies darauf, dass mit 100 000 neuen Wohnungen für Flüchtlinge gerechnet werden müsse. Er forderte Erleichterungen in der Landesbauordnung für alle. Wenn es Ausnahmen nur für Gemeinschaftsunterkünfte gebe, führe das zu Ungerechtigkeiten. Schließlich sollen "die Menschen im Land Wohnraum schaffen".
Ins gleiche Horn stieß sein Kollege Wilfried Mack von der CDU. Er warf Hermann vor, die gegenwärtige Krise dafür nutzen zu wollen, "die Automobilindustrie auszumerzen". Von einer Regierung im Mutterland des Automobils erwarte man nicht, dass sie Abgasschnüffeltests erfinde, die sich gegen Daimler und Porsche richten, sondern dass sie das Problem mit Innovationen und mit Unterstützung der besten Facharbeiter löse. Die Regierung und der Verkehrsminister trügen jedoch nicht zur Lösung des Problems bei, sondern seien selbst Teil des Problems.
Mack beglückwünschte den SPD-Fraktionschef dazu, dass der sich gegen die von Schmiedel so bezeichneten "Schnüffeltests" und "Hermann-Mess-Kommandos" durchgesetzt habe. Er erinnerte an die Forderung der CDU vor einem Jahr, den Wohnungsbau massiv zu stärken. Es sei jedoch gerade mal ein "Progrämmle für Flüchtlinge" herausgekommen. Dagegen müssten Straßen gebaut werden, um Siedlungen zu erschließen; ferner müssten steuerliche Anreize gesetzt und die Landesbauordnung entrümpelt werden.
In den Vorgaben zu Fassadenbegrünung und überdachten Fahrradstellplätzen sieht er einen erheblichen Hemmschuh für den privaten Wohnungsbau. Auch nach Haußmanns Ansicht treiben die vorgeschriebenen Fahrradstellplätze die Baukosten enorm in die Höhe.
Andreas Schwarz von den Grünen verwahrte sich gegen "die inhaltslose Büttenrede des Kollegen Mack". Ein modernes Baurecht, das sehr wohl Abweichungen erlaube, und die Anstrengungen bei der Unterbringung von Flüchtlingen würden belegen, dass die grün-rote Politik den Praxistest bestehe. Und den Vorwurf der Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur ließ Schwarz ebenso wenig auf sich sitzen: Die Regierung habe 234 Millionen Euro für Landesstraßen ausgegeben, bei der Vorgängerregierung seien es nur 214 Millionen gewesen. "Das kann sich sehen lassen", sagte er.
Sein SPD-Kollege Klaus Maier hob die Gemeinsamkeit in der Regierung hervor. Es gebe keine grüne Verkehrs- und Bauordnungspolitik, sondern nur eine grün-rote. Und diese nehme die Herausforderungen der Zukunft an. Für die SPD sei der soziale Wohnungsbau "das Wichtigste". Maier verwies darauf, dass früher nur 25 000 Wohnungen im Jahr gebaut worden seien, heute würden dagegen 35 000 errichtet. Dem "Wortgeklingel" der Opposition wolle er "Zahlen, Daten, Fakten" entgegensetzen.
Gisela Splett verteidigte das Vorpreschen des Verkehrsministers in Sachen Abgasmessungen. Schon vor dem Skandal habe das Ministerium auf Diskrepanzen zwischen Tests auf dem Prüfstand und auf der Straße hingewiesen. Aber wenn jetzt das Bundes-Kraftfahrtamt Abgastests im Realbetrieb einführen wolle, begrüße die Landesregierung das und nehme Abstand von eigenen Vorhaben. "Wenn der Bund Messungen durchführt, die wir für sinnvoll halten, dann wird es keine Doppelmessungen geben", versicherte Splett.
Sie stellte klar, dass die Landesbauordnung aus ihrer Sicht den Wohnungsbau nicht behindere, sondern flexibel sei. Detailliert ging sie dabei auf baurechtliche Vorschriften und Regelungen zur Bauleitplanung, um zu zeigen, "dass daran weder die Flüchtlingsunterbringung noch der soziale Wohnungsbau scheitere". Die Landesregierung handele vielmehr mit Weitblick.