Stuttgart. Die grün-rote Landesregierung hat am Mittwoch im Landtag die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung verteidigt. Nach ihrem Willen sollen Eltern ab dem Schuljahr 2012/2013 bei der Wahl der weiterführenden Schule ihrer Kinder das Sagen haben. Die Opposition warf der Landesregierung einen Schnellschuss ohne Überlegung von Alternativen vor und warnte vor mehr sozialer Selektion.
„Die Landesregierung will das Recht der Eltern an einem entscheidenden Lebensabschnitt ihrer Kinder stärken“, begründete Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) die geplante Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Außerdem soll die Beratung der Eltern verbessert werden. „Die Eltern können sicher sein, dass die Lehrer sie bei ihrer wichtigen Entscheidung sehr gut unterstützen werden“ so Warminski-Leitheußer weiter. Mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung wird nach Ansicht der SPD-Fraktion mehr Gelassenheit an den Grundschulen einkehren.
Um die Beratung durch die Grundschulpädagogen zu verbessern, soll ein „durchgängiges, kontinuierliches und verbindliches Informations- und Beratungskonzept“ ausgearbeitet werden. Dieses soll auf der bereits bestehenden Beratung aufbauen, aber über die Beurteilung nach Noten hinausgehen. Lehrer sollen außerdem Fortbildungen erhalten.
Auch die Kooperation zwischen Grundschule und weiterführender Schule will die Landesregierung verbindlich machen. Damit sollen Lehrer von Grundschulen und weiterführenden Schulen näher zusammengeführt werden „mit dem Auftrag, den Übergang gemeinsam mit den Eltern zu gestalten“, heißt es in dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Schulgesetzes. Dieser soll kommenden Dienstag in der Kabinettssitzung eingebracht werden.
Die Grünen-Abgeordnete Sandra Roser sagte, dass „Kinder vor einer Zurückstufung geschützt“ werden müssen. Das Potenzial eines Kindes müsse ganzheitlich betrachtet werden, was mit der verbesserten Beratung gewährleistet werden soll. Mit der Abschaffung der verbindlichen Empfehlung würde zudem eine „große psychische Belastung“ von den Kindern genommen. Denn bereits in der zweiten Klasse überlegten sich viele Kinder, welche Noten sie zur Gymnasialempfehlung benötigten.
Die Opposition ist gegen die Abschaffung der Grundschulempfehlung. Der FDP-Abgeordnete Timm Kern warf der Landesregierung einen Schnellschuss vor, ohne Alternativen geprüft zu haben. Eine Abschaffung der Grundschulempfehlung könne Kinder nicht vor Frust und Enttäuschung schützen. Es sei viel schlimmer, wenn man erst auf der weiterführenden Schule scheitere. „Der Druck kommt nicht von den Kindern oder Lehrern“, sagte er. Man müsse auch den Mut haben, Unpopuläres anzusprechen: „Wie schützt man Kinder vor überzogenen Erwartungen mancher Eltern?“
Auch die CDU-Fraktion sprach sich gegen die Abschaffung aus, und fürchtet mit dieser gar eine Zunahme der sozialen Selektion. Die Anzahl der Kinder, die auf das Gymnasium gehen, würde damit sinken, so der Abgeordnete Georg Wacker. Im Jahr 2010 hätten 49,9 Prozent eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten. Jedoch sei der Anteil der Eltern, die ihre Kinder tatsächlich aufs Gymnasium schicken wollten, geringer gewesen, warnt er. Zudem sieht Wacker Defizite in der Ressourcenplanung: Er vermisst zusätzliche Eingangsklassen an Realschulen und Gymnasien und fürchtet das Aussterben der Werkrealschulen und sorgt sich um die Zukunft kleinerer Schulstandorte.