Stuttgart. Die „Genderforschung“ bleibt für die AfD-Fraktion im Landtag ein rotes Tuch. In der Debatte über die Lehre zu diesem Thema an den baden-württembergischen Hochschulen bezeichnete Heiner Merz (AfD) am Mittwoch die Geschlechterforschung als „Irrsinn“ und „Schwachsinn“, die weder Wissenschaft sei, noch sich auf das Wohl der Gesellschaft auswirke.
Im Zusammenhang mit der Beantwortung eines Antrags seiner Fraktion und der Stellungnahme des Wissenschaftsministeriums warf Merz der Ministerin Theresia Bauer (Grüne) „wahrheitswidrige Behauptungen“ und „amtsunwürdiges Verhalten“ vor. Bauer täusche den Landtag und die Öffentlichkeit. Er forderte von der Grünen-Politikerin, die Kosten für Gender-Lehrstühle und –forschung offenzulegen.
Merz’ Fraktionskollege Stefan Räpple sprach sogar von „reinem Staatsfeminismus“. Es sei peinlich, überhaupt darüber zu reden, dass es Unterschiede zwischen Mann und Frau gebe. Nach Artikel 3 des Grundgesetzes dürften auch keine Frauen aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt werden. Dennoch würden „teilweise ungebildete Frauen“ im Wissenschaftsbereich besser gestellt als Männer, behauptete Räpple. Aus seiner Sicht sei Ziel des Gendermainstreams eine „sexuell orientierungslos und ziellose Gesellschaft“ zu etablieren und die Zerschlagung der Familien zu erreichen.
Theresia Bauer wies die Kritik entschieden zurück. „Meine Antwort auf die Anfrage ist korrekt“, konstatiere die Wissenschaftsministerin. Zur Freiheit von Forschung und Lehre würden mehrjährige globale Budgets gehören, ohne Abtrennungen oder Teilfinanzierung. Die AfD nutze jede Gelegenheit, gegen Genderforschung zu agieren. Sie frage sich, warum bundesweit 192 Professuren, 0,41 Prozent aller Lehrstühle, einen solchen „Beißreflex“ bei der AfD auslösten. Deren Forderung, die Genderforschung traditionellen Lehrstühlen zuzuordnen, verstoße gegen die freie Lehre der Wissenschaft.
Bauer wies darauf hin, dass auch die 11 000 Menschen ohne eindeutige Geschlechtermerkmale in Baden-Württemberg, nicht ins AfD-Raster passen würden. „Alles, was nicht in Ihre kleine, enge Welt passt, wollen Sie verbieten“, warf sie der Oppositionsfraktion vor. Doch das Wissenschafts- und Kunstland Baden-Württemberg sei wachsam und wisse sich zu schützen „vor Übergriffen auf unser freiheitliches Wissenschafts- und Kunstsystem“.
Auch die Abgeordneten von Grünen, CDU, SPD und FDP würdigten die Genderforschung. Brigitte Lösch (Grüne) bezeichnete diese als „Lieblingsfeindbild der AfD“. Die Hochschulen sei frei in Forschung, Lehre und Kunst. Gendermainstream sei keine Ideologie, sondern eine Strategie zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. „Billige Polemik“ warf Christine Neumann-Martin (CDU) der AfD vor, die immer auftrete bei den Themen Ausländer, Asylrecht und frauenpolitischen Themen. Frauen würden zwar 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen und zu 80 Prozent in Familien die Hauptrolle übernehmen, hätten aber bei Spitzenpositionen in Wirtschaft und Gesellschaft das Nachsehen. „Die Chancengleichheit ist noch nicht erreicht“, konstatierte die junge CDU-Abgeordnete.
Forschung führe in der Regel zu erhellenden Ergebnisse, urteilte Gabi Rolland (SPD). Dies gelte auch für die Forschung über Geschlechter und Geschlechterrollen. Deshalb weise die SPD die Polemik und Entgleisungen der AfD wie Genderwahn „entschieden zurück“. Ihre Fraktion unterstütze die Forschung über Rollenbilder. Nico Weinmann (FDP) warf der AfD vor, „überholte Geschlechterrollen etablieren“ zu wollen. Die Gleichberechtigung sei noch nicht erreicht, deshalb gehe es bei der Geschlechterforschung auch um dieses Thema. Allerdings stehe die AfD nicht allein. Auch die Werteunion der CDU favorisiere beim Thema Ehe und Familie das Leitbild von Vater, Mutter und Kind und habe sich gegen Genderforschung ausgesprochen, stellte der Liberale fest.