Stuttgart. Während in Tübingen Krankenpfleger dem Aufruf der Gewerkschaft Verdi folgten und gegen den Personalmangel an der dortigen Universitätsklinik demonstrierten, diskutierte der Landtag am Mittwoch auf Antrag der SPD darüber, ob in den Kliniken ein Pflegenotstand droht.
Bezahlung sei auch ein Thema, meinte Rainer Hinderer (SPD), doch “wichtiger sind die Rahmenbedingungen“, die physische und psychische Belastung bei der Arbeit und die sei hoch. Zur dringend notwendigen Entlastung des Pflegepersonals könne das Land etwa beitragen, indem es die Digitalisierung vorantreibe. „Ohne entsprechendes Geld gibt es keine digitale Infrastruktur“. Zudem sollten endlich die schon von der SPD-Ministerin Katrin Altpeter auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Stärkung der Ausbildung umgesetzt werden. Denn, so Hinderer, „die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen.“
Gleichwohl verteidigte er die Forderung von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz aus dem Bundestagswahlkampf nach einer 30-prozentigen Lohnerhöhung für Pflegepersonal, die die grüne Abgeordnete Petra Krebs zuvor scharf kritisiert hatte. Dafür müsste beispielsweise der Pflegeversicherungssatz nur um 0,5 Prozent angehoben werden, so Hinderer.
Ein Pflegenotstand drohe nicht erst, sondern sei schon da, meinte Petra Krebs. Dem müsse durch eine „Aufwertung dieses wunderbaren Berufs“ begegnet werden, so Krebs. Viele Maßnahmen dazu seien bereits auf den Weg gebracht: Teilzeitausbildungsmöglichkeiten, verbesserte Karrierechancen durch Akademisierung von Pflegeberufen, das Angebot einer zweijährigen Altenpflegeausbildung mitsamt intensivem Deutschunterricht für Migranten und anderes mehr.
Stefan Teufel (CDU) beklagt, dass Krankenpflege „in der Öffentlichkeit nicht den angemessenen Stellenwert hat“. Er schlägt deshalb eine „Imagekampagne für die Pflegeberufe in Baden-Württemberg“ vor. FDP-Gesundheitsexperte Jochen Haußmann schloss sich dem an. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe habe in den vergangenen Jahren manche Verbesserung bewirkt.
Gleichwohl fordert Teufel angesichts der angespannten personellen und finanziellen Situation der Krankenhäuser in Baden-Württemberg vom Bund nach Bildung der neuen Regierung eine „angemessene Anpassung der Fallpauschalen“, die dem Südwesten zugutekäme.
Auch Christina Baum (AfD) beklagte die schlechten Rahmenbedingungen für Pflegekräfte. Diese litten am meisten unter der „mangelnden Zeit für ihre eigentliche Arbeit, der Betreuung der Patienten“, verursacht vor allem durch „überbordende Bürokratie“ infolge übertriebener Dokumentationspflicht. Das Anwerben von Fachkräften im Ausland sei nur eine kurzfristige Lösung des Problems und im Übrigen „unsozial und unverantwortliche diesen Ländern gegenüber“, wo diese dann fehlten. Nachhaltig sei allein eine wirksame Entlastung der Familien, die für steigende Geburtenraten und damit auch (Pflege-)Nachwuchs sorge: „Nur dann haben unsere sozialen Sicherungssystem eine Zukunft“, so Baum.
Jochen Haußmann (FDP) appellierte an Lucha, sich bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin für Änderungen des Landesfallbasiswerts und der Ausschüttungen aus dem Risikostrukturausgleich einzusetzen; bei der gegenwärtigen Regelung komme Baden-Württemberg besonders schlecht weg. Im Land solle Lucha bei den Etatberatungen der Regierung dafür sorgen, „dass die Investitionssfördermittel zumindest nicht sinken“.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) wies darauf hin, dass Patientenbefragungen eine große Zufriedenheit mit dem Pflegepersonal zeigten. Offenbar besäßen dieses ein so hohes Qualitätsbewusstsein und Ethos, dass unter den von ihnen beklagten Zuständen die Patienten trotzdem nicht zu leiden hätten. Gleichwohl sei es ein Alarmzeichen, dass Pfleger und vor allem Pflegerinnen - drei Viertel aller Tätigen - ihren Beruf durchschnittlich nur rund 13 Jahre ausübten.
Mit Blick in die Zukunft ist ihm dennoch nicht bang: Von allen Bundesländern „bildet Baden-Württemberg prozentual am meisten Pfleger aus und wir haben steigende Zahlen.“ Lucha verwahrte sich gegen den Vorwurf von Hinderer und Haußmann, Investitionen der Kliniken in Baden-Württemberg würden zu wenig gefördert. Die Kostenexplosion und Geldmangel im Gesundheitswesen werde beklagt, seit er vor 30 Jahren sein Examen gemacht habe. Mehr Geld sei immer wünschenswert, aber nicht möglich. Doch, so versicherte Lucha: „Kein notwendiges, sinnvolles und zukunftsgerechtes Krankenhausprojekt in diesem Land wird nicht umgesetzt.“
Entlastung für das Pflegepersonal verspricht sich Lucha auch von der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Hier zähle Baden-Württemberg zu den Vorreitern. So habe man etwa als einziges Bundesland einen Beirat zum Thema E-Health.