Stuttgart. Die Bund-Länder-Einigung zur Neuordnung des Finanzausgleichs wird im Landtag unterschiedlich bewertet. Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch den am 14. Oktober erreichten „wohlaustarierten“ Kompromiss in seiner Regierungsinformation als „großen Erfolg für Baden-Württemberg und den Föderalismus“ feierte und Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sogar ein „Hallelujah“ auf den Regierungschef ausrief, kritisierte die Opposition zahlreiche Punkte in der vereinbarten Einigung zwischen den Ländern und dem Bund.
„Als einziger großer Bluff“, bezeichnete Jörg Meuthen (AfD) die „Mogelpackung“, weil Baden-Württemberg auch künftig Geberland bleiben werde. Die Neuordnung sei ein „schlechtes Verhandlungsergebnis für Baden-Württemberg“ und bedeute zehn Jahre Stillstand in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen, ohne Impulse für Wachstum und Beschäftigung“, kritisierte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Für Andreas Stoch (SPD) ist die Regelung „keine Lösung für alle Tage und überbordende Transparenz“. Und CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sprach, wie zuvor Kretschmann, von „dicken Brettern“, die gebohrt werden mussten und nun zu einem „Kompromiss mit Freude und Schmerz“ geführt hätten.
Kretschmann erklärte, es sei ein „richtig hartes Brett gebohrt“ worden, das Land werde von 2020 an rund 961 Millionen Euro mehr in der Kasse haben und könne damit „gigantische Einnahmeausfälle“ verhindern. Er rechtfertigte den Verhandlungsweg statt den Gang vor das Bundesverfassungsgericht. „Das wäre der einfachere gewesen, aber der falsche“, sagte der Ministerpräsident. Durch die von Baden-Württemberg betriebene Neuordnung seien Brücken zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen Flächenländern und Stadtstaaten, zwischen Geber- und Nehmerländer gebaut worden. Kein Land werde 2020 schlechter dastehen als 2019, dem letzten Jahr des jetzigen Finanzausgleichssystems.
Dennoch sei ihm sehr schwer gefallen, der „bitteren Pille“ zuzustimmen, dass die Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft von 64 auf 75 Prozent steigen wird, gab der Regierungschef zu. Grundsätzlich Bedenken hat Kretschmann bei dem Plan, dem Bund Finanzhilfen für finanzschwache Kommunen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur zu ermöglichen, denn dies würde einen direkten Zugriff des Bundes auf die Kommunen an den Ländern vorbei bedeuten. Kritisch sehe er auch die Zustimmung der Länder zu einem stärkeren allgemeinen fachlichen Weisungsrecht des Bundes im Bereich der Steuerverwaltung.
Schwarz stimmte viel Lob auf Kretschmanns „grandiose Leistung“ in den Verhandlungen an. Baden-Württemberg spare als Geberland somit 2,5 Milliarden Euro. Nicht für sinnvoll hält der Grünen-Fraktionschef, dass der Bund künftig das Bundesstraßennetz zwischen Flensburg und Friedrichshafen verwalten soll; Planung und Bau der Bundesstraßen seien beim Land besser aufgehoben.
Baden-Württemberg bekomme 2020 „wertvolle finanzielle Spielräume“ zurück, konstatierte Reinhart. Der Südwesten habe dann wieder mehr davon, erfolgreicher zu sein als andere. Baden-Württemberg habe seit 1950 als einziges Bundesland ununterbrochen in den Länderfinanzausgleich eingezahlt – exakt 59,817 Milliarden Euro. „Ohne den Druck der Klage Bayerns und Hessens hätte es diese Einigung nicht gegeben“, sagte der CDU-Politiker. Der Bund gebe künftig 9,5 Milliarden Euro ins System und erfülle damit fast vollständig die Maximalforderungen der Länder. Allerdings werde durch die schlichte Ausrichtung auf die Einnahmen auch mit dem neuen System nicht überwunden. „Die Länder sollten sich nicht weiter in die Abhängigkeit vom Bund manövrieren“, mahnte Reinhart, deshalb seien weitere Debatten über Bundeszuständigkeiten in der Schulpolitik überflüssig.
Der Liberale Rülke kritisierte, das Land hätte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht „sicher mehr erreicht“ als mit der Reform. Das Geld der Steuerzahler werde weiter in einen Trichter geworfen, unabhängig von der Leistung und Haushaltssolidität eines Landes. Die Ländervertreter hätten sich angesichts der drohenden Schuldenbremse von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über den Tisch ziehen lassen. Es sei viel geopfert worden auf dem Altar des Kompromisses. 9,5 Milliarden Euro mehr für die Länder klängen gut, erklärte Rülke, für den Landeshaushalt sei eine Entlastung von weniger als 400 Millionen aber schon nicht mehr so ruhmreich. Der Ministerpräsident selbst habe jüngst beim Landkreistag beklagt, dass man eine höhere Bewertung der kommunalen Finanzkraft nicht verhindern konnte. Das sei ausgesprochen schmerzlich. Überdies sei keine Dynamisierung der Entflechtungsmittel erreicht worden. Netto habe man lediglich eine Entlastung von 366 Millionen erreicht. Bezogen auf die mittelfristige Finanzplanung bedeute das sogar einen Verlust, da man bereits 400 Millionen eingeplant habe. Rülke: „Dieser Ministerpräsident hat vor einem Jahr die ‚Quadratur des Kreises‘ gefeiert und ist am Ende an der Grundschulmengenlehre gescheitert.“
Die AfD warf Kretschmann „schwerwiegende Täuschung“ der Bürger vor. Durch den Kompromiss werde die parlamentarische Kontrolle und politische Verantwortung der Länder geschwächt, weil der horizontale Ausgleich voll in die Umsatzsteuer und in Bundesergänzungszuweisungen verschoben wird. Die Chance, föderale Finanzbeziehungen transparent, konsistent, effizient und anreizkompatibel zu gestalten, sei komplett vertan worden.