Stuttgart. Die Opposition im Landtag hat wieder einmal die Politik von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) scharf kritisiert. Hermann begehe bei den Modellversuchen mit Tempolimits auf den Autobahnen 81 und 96 Rechtsbruch, warf Nicole Razavi (CDU) dem Minister vor. Auch die FDP griff Hermann an. Der Minister kümmere sich lieber um Radmodenschauen und Fußverkehrspreise, als um den Straßenverkehr und die Infrastruktur, sagte Jochen Haußmann.
„Minister Hermann schadet damit dem Automobilstandort Baden-Württemberg“, so Haußmann in der von seiner Fraktion beantragten aktuellen Debatte „Blaue Plakette, City Maut, Versuchsballon Tempo 120 auf Autobahnen und Verwirrspiel um die Straßenverwaltung: Erlebt die Straßenverkehrspolitik in Baden-Württemberg unter Grün-Rot ihr blaues Wunder?“.
Nach Ansicht von Haußmann taugt die Note 5 nicht nur für die Ergebnisse eines von Hermann in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Straßenbauverwaltung im Südwesten, sondern auch „auch für die Glaubwürdigkeit und die Konsistenz der Aktionen“ von Minister Hermann, wenn es ums Auto gehe. Obwohl das Land für Tempolimits auf Autobahnen nicht zuständig sei, sondern der Bund, wolle Hermann auf bis zu 80 Kilometern Autobahnen „ohne triftigen Grund einem starren Tempolimit unterwerfen“. Auch bei der City Maut und der blauen Plakette habe der Verkehrsminister „Pleiten einstecken“ müssen.
Razavi apostrophierte Hermann als „verkehrspolitischen Erlkönig“. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) habe bereits angekündigt, dass er die geplanten Tempolimit-Versuche in Baden-Württemberg nicht genehmigen werde. Hermanns Plan sei nur ein „Wahlkampf-Gag“. Razavi sprach von „Schikane“ und sagte: „Unsere Freiheit ist uns wichtiger als Ihre Gängelei.“ Die CDU mutmaßt, dass Hermann über die Tempolimits eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung einführen möchte.
Hermann konterte die Angriffe der „Regierung a.D.“ mit „viel Attacke und wenig Substanz“; Grün-Rot sei zwar „noch lange nicht am Ziel“, habe aber mit hoher Schlagzahl viele wichtige Projekte auf den Weg gebracht. Im Straßenbau seien für eine Offensive angesichts dringend notwendiger Sanierungen Rekordsummen von jährlich um eine Milliarde Euro seit 2012 eingesetzt worden. Durch fundierte Priorisierung bei Landes- und Bundesstraßen könne die Straßenbauverwaltung strukturiert und effizient vorgehen. Auch der m und der Ausbau der Schleusen am Neckar seien nach vorne gebracht worden. „Unser Konzept heißt Nachhaltigkeit.“
Außerdem setze sich die Landesregierung für mehr Verkehrssicherheit ein, um das auch von der EU und vom Bund vorgegebene Ziel zu erreichen, bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten gegenüber 2010 um 40 Prozent zu verringern. Dazu gehöre auch der auf drei Jahre angelegte Pilotversuch mit Tempo 120 auf zwei Autobahnabschnitten im Land, der keineswegs als Einstieg in ein generelles Tempolimit angelegt sei. „Wesentliche Ursache für Unfälle mit Toten und Schwerverletzen auf Bundesautobahnen ist nicht angepasste und überhöhte Geschwindigkeit. Bei dem Pilotversuch geht es darum, auf den beiden Abschnitten der A 81 und A 96 aktuelle Erkenntnisse darüber zu erhalten, ob das Ziel, die Zahl der Verkehrsopfer zu reduzieren, durch gezielte Begrenzung des Tempos auf einzelnen Abschnitten erreicht werden kann, nicht mehr und nicht weniger. Ein positiver und durchaus gewollter Nebeneffekt ist, dass die Menschen in den lärmgeplagten Gemeinden entlang der Strecken auch noch von geringerer Lärmbelastung profitieren“, erklärte Hermann.
Auch der CDU-Fraktionschef Guido Wolf habe solche Tempolimits gefordert; zudem habe der Landtag einstimmig sein Ministerium zu einem Vorstoß beim Bund für einen solchen Pilotversuch aufgefordert. Die Strecken für den Modellversuch seien 80 km lang und entsprächen gerade mal sieben Prozent der Autobahnen im Südwesten. Auf 60 Prozent der Autobahnen sei freie Fahrt möglich.
Auch die Luftreinhaltung, vor allem in den Großstädten, gehöre zu seiner Mobilitätspolitik, sagte Hermann. Es sei gelungen, die Schadstoffwerte zu verringern. 2010 seien die Grenzwerte noch an 16 Messstellen im Land überschritten worden, in diesem Jahr nur noch an der Messstelle am Neckartor in Stuttgart. Deshalb hätten sich Land, Regierungspräsidium und Landeshauptstadt Stuttgart auf ein zweistufiges Konzept verständigt. Dieses sieht bei Inversionswetterlagen öffentliche Appelle an die Autofahrer zur Bildung von Fahrgemeinschaften oder zum Umstieg auf den ÖPNV vor sowie den Verzicht der Wohnungsbesitzer auf den Betrieb von Komfortöfen mit Festbrennstoffen.
Auch die Sprecher der Regierungsfraktionen hatten zuvor die Angriffe von CDU und FDP zurückgewiesen. Baden-Württemberg sei das „Land der Bus- und Bahnfahrer, aber auch Autoland“. Noch nie sei von einer Landesregierung so viel in den Straßenbau investiert worden wie von Grün-Rot. Hinsichtlich der Straßenbauverwaltung spielte Andreas Schwarz (Grüne) den Ball zurück: Die Vorgänger-Regierung habe zwischen 2005 und 2011 insgesamt 187 Stellen abgebaut. Er kündigte an, nach den bereits erfolgten Neueinstellungen werde Grün-Rot in den kommenden drei Jahren weitere 150 Stellen schaffen. Außerdem bemängelte Schwarz, dass der Bundesverkehrswegeplan aus Berlin immer noch aussteht: „Wir warten dringend auf Aussagen des Bundes, denn wir brauchen Planungssicherheit.“
Hans-Martin Haller (SPD) sagte, die Vorwürfe der Opposition seien nicht „mit Zahlen, Daten und Fakten“ belegt. Da die Landesbauverwaltung untersucht werden musste, stehe die SPD hinter dem umstrittenen Gutachten. Bereits die Vorgänger-Regierung habe organisatorische Mängel gesehen, ausgelöst durch die Verwaltungsstrukturreform 2005. Immerhin sei ein Mitarbeiter der Straßenbauverwaltung in Baden-Württemberg für ein Volumen von 800 000 Euro zuständig, in Bayern nur für 400 000 Euro. Haller erklärte, mit der SPD gebe es keine City Maut in Baden-Württemberg.