Stuttgart. Baden-Württemberg verfügt nach Ansicht von Winfried Hermann (Grüne) über ein „umfassendes Gesamtkonzept“ in der Verkehrspolitik, das an Nachhaltigkeit orientiert sei. „Wir wollen Mobilität mit modernster Technologie sichern, auch mit modernen Autos, die klima- und umweltfreundlich sind. Das ist in ein vernetztes Mobilitätskonzept eingebettet“, sagte der Verkehrsminister am Mittwoch im Landtag und reagierte damit auf Kritik des früheren Regierungspartners SPD, der die aktuelle Debatte „Der grüne Verkehrsminister – Bremsklotz für die Zukunft unseres Landes“ beantragt hatte.
Angesichts der von der Landesregierung beschlossenen und seitdem kontrovers diskutierten Fahrverboten bei Feinstaubalarm von 2018 an in Stuttgart urteilte Hermann, in der Mobilität stehe man „vor der größten Herausforderung“. Dabei müsse die Frage beantwortete werden, „wie schaffen wir es, die am Verbrennungsmotor orientierte Automobilbranche zu transformieren in eine Branche, die moderne Mobilität anbietet als Dienstleister mit Produkten, mit modernen Motoren, die abgasfrei sind - ob sie elektrisch betrieben sind oder mit Brennstoffzelle, mit digitalen Technologien oder mit welcher Technologie auch immer?“ Die Politik müsse alles tun, um diesen Transformationsprozess zu begleiten und zu beschleunigen.
Nachdem seit sieben Jahren bei Stickoxyd die Grenzwerte nicht eingehalten würden, sei es selbstverständlich, dass die Regierung „etwas tun muss“. Dazu gehörten Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge, die allerdings nicht wie bei der Nachrüstung von Partikelfiltern vor zwölf Jahren von Zulieferern, sondern von den Herstellern selbst vorgenommen werden müssten. Grün-Schwarz rede nicht nur über Fahrverbote; es gehe einerseits um Gesundheit und auch um die Sicherstellung von Mobilität. Man müsse alles tun, damit die Autoindustrie „die beste Technologie liefert und nicht eine schlechte, die gesundheitsschädlich ist“.
Hermann reagierte auf die Kritik von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch, der dem Verkehrsminister vorwarf, „bloße Scheinlösungen“ zu präsentieren, „Schwarz-Weiß-Diskussionen“ zu führen und den Eindruck zu erwecken, dass „durch Fahrverbote die Probleme gelöst“ werden könnten. „Dieser Verkehrsminister will Fahrverbote, weil sie das Ziel seiner Politik sind“, kritisierte Stoch und warf Hermann außerdem vor, mit seinem Vorschlag, alte Diesel nach Nordbaden und Südwürttemberg zu verkaufen, „zynisch“ mit den Problemen und Sorgen der Menschen umzugehen und an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei zu arbeiten.
Hermann entgegnete, „der liebe Andi“ müsse sich den Schaum vom Mund putzen nach seiner „aggressiven, ideologisch aufgeladenen und undifferenzierten Rede“. Dabei habe er nicht wahrgenommen, „was wir gemeinsam in den letzten Jahren gemacht haben“ und schlussfolgerte: „Das war eine Selbstbeschimpfung der letzten Koalition.“
Stoch warf Grün-Schwarz vor, durch Gerede und Handeln für sinkende Absatzzahlen von Dieselfahrzeuge verantwortlich zu sein. Was die Landesregierung zu Fahrverboten sage, sei „industriepolitisch höchst gefährlich“. Mobilität dürfe nicht zur sozialen Frage werden. Wer aber wie der Verkehrsminister „in seiner grünen Verbotsideologie“ die Ächtung des Individualverkehrs und damit der Pkw betreibe, säge „an dem Ast, auf dem wir alle sitzen“ und der seit Jahrzehnten Garant für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes sei.
Daniel Renkonen (Grüne) und Albrecht Schütte (CDU) wiesen die Kritik zurück. Die SPD spiele mit der Gesundheit der Bürger in Stuttgart und anderswo, die von Abgasbelastungen betroffen seien, urteilte Renkonen. 2013 seien in Deutschland 84 000 Menschen an zu hoher Stickstoffbelastung gestorben. Zudem sei es EU-Recht, die Fahrzeugbelastung um 20 Prozent zu reduzieren. Deshalb habe sich Grün-Schwarz „ganz bewusst“ für die blaue Plakette entschieden als „temporäres Fahrverbot für besonders schmutzige Autos bis Euro 5.“ Die Regierung schaffe außerdem Anreize, damit die Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Als Beispiele für den Strukturwandel nannte Renkonen den Aufbau von 2000 Ladestellen für E-Mobilität im ländlichen Raum, das Zielkonzept 2025 für den Schienen-ÖPNV sowie Milliarden-Zuschüsse für diverse Bahnprojekte.
Schütte betonte, die Koalition wolle die Eingriffe bei Feinstaubalarm „so gering wie möglich halten“, Ausnahmen zulassen und trotzdem gleichzeitig die Gesundheit der Anwohner zu schützen. Die Dieseltechnologie werde in den nächsten Jahren noch gebraucht. „Der Bremsklotz ist nicht Winfried Hermann, sondern von 2011 bis 2016 haben Sie die Sachen blockiert“, sagte der CDU-Abgeordnete in Richtung SPD.
Abgeordnete der AfD und der FDP sahen dies anders. Es sei nicht nur Hermann, sondern „im Prinzip die Grünen“, die den Bremsklotz für die Zukunft des Landes darstellten, sagte Bernd Gögel (AfD). Diese wollten das Verkehrsgewerbe ökologisieren, hätten die Natur als Ersatzreligion missbraucht und seien zur Deindustrialisierung eines hochentwickelten Landes bereit. Hermann vernachlässige die Infrastruktur, mehr als 60 Prozent aller Brücken in Baden-Württemberg seien sanierungsbedürftig. Auch bei den Straßen bestehe ein Sanierungsstau in Milliardenhöhe. „Das Stuttgarter Feinstaubproblem haben Sie in purem Unverstand zum ideologischen Krieg gegen den Dieselmotor missbraucht und der heimischen Industrie immensen Schaden zugefügt“, kritisierte Gögel.
Jochen Haußmann (FDP) nannte es „erstaunlich“, mit welcher Hingabe sich der ehemalige Koalitionspartner SPD mit dem grünen Verkehrsminister abrechne. Tatsächlich laufe vieles falsch und sei von Ideologie, Bevormundung und Verbotskultur geprägt. Der Liberale nannte als Beispiele den Kampf gegen Stuttgart 21, das zweimalige Verschenken von Millionensummen im Straßenbau, das Verschleppen der Neuvergabe von Verträgen im Schienenpersonennahverkehr, die Bekämpfung des Feldversuchs der Lang-Lkw im Südwesten oder die jüngsten Irrungen und Wirrungen rund um die Fahrverbote für nicht einmal zwei Jahre alte Diesel-Fahrzeuge der Norm Euro 5. Die größte Dynamik entwickle Hermann beim Radverkehr. Beim Auto hingegen könne es nicht langsam genug gehen. Er erinnerte an Ideen von einem generellem Tempo 30 in Städten, 120 auf Autobahnen und die City-Maut. Beim Radverkehr sei alles anders: Da würden Millionen für unnötige Gutachten zu Fahrradhelmen und für die Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben.