Stuttgart. Innenminister Reinhold Gall (SPD) hat den vier Vorsitzenden der im Stuttgarter Landtag vertretenen Fraktionen angeboten, im neuen Jahr zu einem Gespräch über mehr direkte Bürgerbeteiligung zusammen zu kommen. Die Volksabstimmung über Stuttgart 21 sei ein voller Erfolg gewesen und gebe Anlass, über eine neue Ära nachzudenken, sagte Gall.
«Die Bürger von Baden-Württemberg wollen sich einbringen, auch außerhalb von Wahlen», stellte der Innenminister fest. Er findet die repräsentative, parlamentarische Demokratie gut, sie stöße aber hin und wieder an Akzeptanzprobleme.
Die in der gegenwärtigen Verfassung verankerten Quoren scheinen aus Sicht von Gall «heute unerreichbar» zu sein. Deshalb strebt der Minister eine einvernehmliche Lösung mit der CDU an, die sich noch vehement gegen eine Senkung der Quoren stemmt. Deren Sprecher Stefan Scheffold (CDU) räumte zwar eine Vertrauenskrise ein, da nach einer Studie rund 70 Prozent der Deutschen kein Vertrauen in die Politik haben. Gleichwohl sagte er, die direkte Demokratie sei nicht automatisch besser. Scheffold bezeichnete die von der SPD beantragte Debatte heute im Landtag als «Ablenkung dafür, dass Rot und Grün die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 verloren haben». Die CDU könne sich damit einverstanden erklären, wenn es Bürgerbeteiligungen vor einer Projektplanung geben soll. Falls ein schlüssiges Konzept vorliege, könne die CDU durchaus für mehr Bürgerbeteiligung sein.
Ulrich Goll (FDP) erneuerte die Haltung der Liberalen zu einer Senkung der Quoren. Die FDP sei bereit, das Entscheidungsquorum von 33 Prozent auf 20 Prozent und das Eingangsquorum von 16 auf 10 Prozent zu senken. Eine völlige Abschaffung von Quoren kommt für die FDP nicht in Frage, da dies sonst Splittergruppen nutzen könnten, um «alle Nas' lang Abstimmungen zu beantragen, die wir bezahlen müssen.» Auch Goll bezeichnete die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 als «Belebung für die Demokratie». Den CDU-Abgeordneten rief der führere Justizminister zu: «Lassen Sie uns an Quoren rütteln, damit es künftig leichter geht.»
Andreas Stoch (SPD) verwies auf die Beteiligung an der Volksabstimmung vom 27. November, die ein «ermutigendes Signal» gewesen sei. Das Thema Stuttgart 21 sei «deutlich entemotionalisiert» worden. Deshalb plädierte Stoch dafür, mehr Elemente der direkten Demokratie in die Verfassung zu bringen. Die Haltung der CDU-Fraktion bezeichnete er als «nicht zielführend». Die Politik müsse lernen, die Menschen frühzeitig in Entscheidungen einzubinden.
Für die Grünen warf Hans-Ulrich Sckerl der CDU vor, sie sitze weiter «im Bremserhäuschen» und weigere sich, die richtigen Lehren aus der Volksabstimmung zu ziehen. «Die Abstimmung hat die Demokratie einen Schritt nach vorne gebracht.» Er sieht deshalb einen klaren Auftrag an den Landtag, die Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg voranzutreiben. Der Südwesten sei in Fragen von Volksentscheidungen und Quoren das Schlusslicht in Deutschland.