Stuttgart. Das Land möchte mit der Novelle des Flüchtlingsaufnahmegesetzes eine „nachhaltige Verbesserung der Lebensverhältnisse“ der dem Land zugewiesenen asylsuchenden Flüchtlinge erreichen. Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) stellte den Gesetzentwurf im Landtag vor.
Ein zentraler Eckpunkt ist die sukzessive Anhebung der durchschnittlichen Quadratmeterzahl von viereinhalb auf sieben Quadratmeter bis 2016 als durchschnittliche Wohn- und Schlafraumfläche pro Flüchtling. Auch Wohnungen statt Gemeinschaftsunterkünfte sollen bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Betracht gezogen werden. Die CDU-Fraktion sieht die Kommunen als Verlierer des Gesetzes. Die FDP will die Finanzierung geklärt haben.
Der vom Integrationsministerium vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, dass pro aufgenommenem und an die Stadt- und Landkreise zur „vorläufigen Unterbringung“ zugewiesenen Asylsuchenden im Jahr 2014 eine Pauschale von 12 316 Euro pro Person gezahlt werden soll – statt rund 7000 Euro, wie unter Schwarz-Gelb. „Menschenwürde ist nun einmal nicht disponibel“, stellte die Ministerin klar. Das geplante Flüchtlingsaufnahmegesetz, das am 1. Januar 2014 in Kraft treten soll, lasse auch erstmals eine Unterbringung in normalen Wohnungen zu, lege Mindeststandards für die Flüchtlingsunterkünfte und die Flüchtlingssozialarbeit fest und ermögliche, dass Sozialleistungen nicht mehr in Form von Gutscheinen, sondern als Bargeld ausgezahlt werden sollen.
Der Kostenausgleich mit den Stadt- und Landkreise solle „fair“ erfolgen, so Öney. In den nächsten Jahren solle die Pauschale, die das Land den Stadt- und Landkreisen zahlt, erhöht werden: So werden ab 2015 pro Asylbewerber 13 010 Euro und im Jahr 2016 eine Pauschale von 13 722 Euro den jeweiligen Kommunen gezahlt. Ab 2016 sollen die Zahlungen dann jährlich um 1,5 Prozent steigen. Damit werden die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewährenden Sozialleistungen sowie Kosten für Verwaltung, Liegenschaften, Sozialbetreuung und Krankheit pauschal erstattet. „Diese Neuerungen sollen eine Flüchtlingspolitik schaffen, die humanitäre Verpflichtungen erfüllt“, sagte Öney. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind in Baden-Württemberg pro Jahr rund 14 000 neue Asylbewerber zu erwarten. Die finanziellen Auswirkungen des Flüchtlingsaufnahmegesetzes sehen im Jahr 2014 rund vier Millionen Euro vor.
CDU-Integrationsexperte Bernhard Lasotta kritisierte die hohen Kosten, die auf die Stadt- und Landkreise nach Verabschiedung des Gesetzes zukommen werden: „Gut gemeint ist nicht gut gemacht“, so Lasotta. Das Land müsse die für die Kommunen und Landkreise entstehenden Mehrkosten in vollem Umfang ausgleichen und die nötigen Haushaltsmittel bereitstellen. Laut Landkreistag fehlen den Landkreisen 50 Millionen Euro, wenn das geplante Flüchtlingsaufnahmegesetz in der vorgelegten Form verabschiedet werde. „Sie machen ein Gesetz auf Kosten der Kommunen“, warnte Lasotta. Die CDU begrüße die Anhebung von Standards, wenn die Regierung bereit sei, den Kommunen genügend Geldmittel zur Verfügung zu stellen.
Der integrationspolitische Sprecher der Grünen, Daniel Lede Abal, lobte hingegen die Neuerungen, die der Gesetzesentwurf mit sich bringe: Integration der Flüchtlinge durch frühe Sprachförderung, eine bessere Flüchtlingssozialarbeit sowie mehr Humanität. Die Einführung von Geldzahlungen anstelle von Sachleistungen nannte Lede Abal einen für die Asylbewerber erfreulichen „Abschied von der Essenskiste“.
Rosa Grünstein (SPD) lenkte die Diskussion auf die menschlichen Schicksale: „Hier geht es nicht um Zahlen, sondern um traumatisierte Menschen“, sagte die Ministerin. Baden-Württemberg sei das „unmenschliche Schlusslicht unter den Bundesländern“ in Bezug auf den bisher festgeschriebenen Wohnraum von 4,5 Quadratmetern, der Asylbewerbern zustehe. „Humanität hat Vorfahrt. Diesem Anspruch aus dem grün-roten Koalitionsvertrag wird mit diesem Gesetzesentwurf Rechnung getragen“, so Grünstein.
Der Abgeordnete Andreas Glück (FDP) übte Kritik, da die Reform monatelang immer wieder angekündigt und dann verschoben wurde. „So ein Ministerium muss zeitnah auf Dinge reagieren, Frau Öney“, monierte Glück. Er hoffe, der Entwurf sei nicht in Stein gemeißelt und es sei noch möglich, Änderungen vorzunehmen. Zur Finanzierung von beispielsweise größeren Wohnungen äußerte sich Glück angesichts der seiner Ansicht nach zu geringen Pauschalen provokant: „Daimler fahren wollen und dann nur VW fahren“ – dies sei nicht angemessen.