Stuttgart. Wegen des Unterrichtsausfalls an den Schulen hat sich der Landtag am Donnerstag heftig gestritten. Unterrichtsausfall auf Rekordniveau und aus diesem Grund angekündigte Klagen von Eltern gegen das Kultusministerin – dies sei „eine Schande für das Land und eine Bankrotterklärung für den Bildungsstandort Baden-Württemberg“, kritisierte Stefan Fulst-Blei (SPD) in der von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Debatte. Der SPD-Bildungsexperte bezeichnete Grün-Schwarz als „Regierung der Lehrerstellenstreichung“. Über alle Schularten hinweg falle 12,5 Prozent im Schuljahr 2017/18 mehr Unterricht aus als im Vorjahr; an Gymnasien und beruflichen Schulen seien es sogar 20 Prozent mehr.
Deshalb forderte Fulst-Blei die Rücknahme der 2017 erfolgten Streichung von mehr als 1000 Stellen, den Ausbau der Krankheitsreserve auf 2000 Stellen, einen Versorgungsgrad an jeder Schule von 106 Prozent, die Aufstockung des Entlastungskontingents und eine attraktivere Gestaltung des Lehrerberufs, vor allem die Weiterbeschäftigung von Lehrern während der Sommerferien. Redner von Grünen und CDU räumten zwar eine nicht zufriedenstellende Situation an den Schulen ein, machten jedoch die in der Vorgängerregierung mitregierende SPD, namentlich deren Kultusminister Andreas Stoch und Finanzminister Nils Schmid, mitverantwortlich.
Für die Landesregierung wies Kultus-Staatssekretär Volker Schebesta (CDU) die Kritik zurück. Der Versorgungsgrad an Gymnasien sei in den Schuljahren 2016/17 und 2017/18 höher als zu Zeiten des SPD geführten Kultusministeriums. Trotz eines Versorgungsgrads von durchschnittlich 104 Prozent an Gymnasien sei im Vergleich der Schularten dort der Ausfall des Unterrichts am höchsten, räumte Schebesta ein. Die Situation sei „nicht ideal“, aber das Ministerium habe auf den Ausfall reagiert und gehandelt, und zwar „besser als in der Vergangenheit“. Das Land bilde über Bedarf Lehrer aus. Der Staatssekretär verwies außerdem auf 161 Deputate, durch die 343 pensionierte Lehrer im Unterricht geblieben seien; zudem gebe es 48 Deputate für Ein-Fach-Lehrer und 182 Deputate für Gymnasiallehrer, die an Grundschulen unterrichten.
Dennoch urteilte Rainer Balzer (AfD), die Landesregierung habe das Vertrauen von Eltern und Schülern „verspielt“. Er gab der SPD eine Mitschuld daran. Für die Misere bei der Unterrichtsversorgung machte er „Grün-Rot ursächlich“ verantwortlich; die Vorgänger-Koalition habe den Bedarf „kleingerechnet“ und die Gymnasien geschwächt. Balzer warf den Grünen vor, die Lehrerversorgung an Gymnasien und beruflichen Schulen zugunsten der Gemeinschaftsschule „vernachlässigt“ zu haben. Der AfD-Schulexperte schlug Zulagen für Lehrer mit Mangelfächern vor und für Lehrer, die im ländlichen Raum unterrichten. Dort herrsche enormer Lehrermangel. Außerdem dürften Lehrkräfte nicht mehr in den Ferien entlassen werden.
Sandra Boser (Grüne) zeigte sich „offen“ für die Forderung nach 200 weiteren Lehramts-Studienplätzen. Derzeit seien viele Lehrer in Elternzeit, aber die Pensionswelle sei rückläufig. Ziel sei es, über alle Schularten und in allen Regionen eine gute Lehrerversorgung zu erreichen. Momentan seien die Gymnasien im Durchschnitt mit 106 Prozent Lehrerstellen versorgt; trotzdem müsse eruiert werden, woher der Stundenausfall komme. Andere Schulen hätten bei der Versorgung mehr Probleme und teilweise keine 100-Prozent-Versorgung. Viele Angebote im ländlichen Raum würden von Bewerbern nicht angenommen. Deshalb liege der Fokus auf der Versorgung dieser Landesteile. Die Grünen-Schulexpertin sprach sich für eine andere Ausrichtung der Schulen aus, beispielsweise mit multiprofessionellen Teams.
Auch Karl-Wilhelm Röhm (CDU) warf der SPD vor, zu ihrer Regierungszeit Studienplätze und Lehrerstellen „massiv abgebaut“ und keine Reserve aufgebaut zu haben. „Sie beklagen Ihr eigenes Unvermögen in Ihrer Regierungsphase“, konstatierte Röhm. „Wir haben die falsche Weichenstellung beendet.“ Grün-Schwarz habe den Abbaupfad gestoppt, die niedrigere Eingangsbesoldung aufgehoben. Außerdem gehe das Kultusministerium „transparent“ mit dem Unterrichtsausfall um. Die derzeitige Versorgung könne nicht zufrieden stellen, es herrsche aber Bewerber- und kein Stellenmangel. Der CDU-Schulexperte will den Schulen mehr Handlungsspielraum geben, um besser auf Unterrichtsausfall reagieren zu können.
Timm Kern (FDP) nahm auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ins Visier. Die gescheiterte Bildungspolitik sei der Hauptgrund gewesen, weshalb die grün-rote Regierung 2016 „zurecht abgewählt wurde“. Daraus habe der Regierungschef offenbar keine Lehre gezogen. Er dürfe nicht in „quasi-präsidialer Art“ über den Alltagsproblemen der Schüler und Lehrer stehen; seine Aufgabe sei es, eine Bildungspolitik mit dem Ziel einer ausreichenden Unterrichtsversorgung zu machen. Die FDP gebe sich nicht zufrieden mit der schlechten Unterrichtsversorgung und dem Abschneiden Baden-Württembergs in Qualitätsvergleichen. Der Gymnasiallehrer erneuerte seine Kritik an Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU): Sie bemühe sich zwar um die Qualität der Bildung, ihr fehle aber der Mut zu „wegweisenden Entscheidungen“. Offensichtlich seien die ideologischen Gegensätze in der grün-schwarzen Komplementär-Koalition keine guten Voraussetzungen für mutige Entscheidungen, wie sie für die Zukunftsfähigkeit des Bildungswesens dringend notwendig seien.
Eine Untersuchung an allen rund 4500 Schulen im Südwesten Mitte Juni hatte ergeben, dass etwa jede zehnte Unterrichtsstunde nicht wie geplant abgehalten wird. In rund zwei Dritteln der Fälle überbrückten Vertretungslehrer den Unterricht, der Rest der Stunden fiel aus. Am häufigsten gab es Änderungen - Vertretung oder Ausfall - an den allgemeinbildenden Gymnasien (12,7 Prozent). Dahinter folgten die Gemeinschaftsschulen (12,4). Die Grundschule kam auf 7,3 Prozent. Eltern von Gymnasiasten wollen gegen das Land klagen, da Schüler aus Baden-Württemberg aufgrund der Stundenausfälle geringere Zukunftschancen gegenüber Schülern aus anderen Bundesländern hätten.