Stuttgart. Über eine Stunde lang hat sich der auch für Digitalisierung zuständige Innenminister Thomas Strobl (CDU) mit seiner ersten Regierungserklärung vor dem Landtag Zeit genommen, um die neue Digitalisierungsstrategie zu erläutern. Eine Aussprache danach verweigerte ihm die Opposition aus Ärger darüber, dass sich Strobl in Ausschusssitzungen immer wieder vertreten lässt. Und vor allem, weil der Text der Erklärung zu spät vorgelegt wurde.
„Wir müssen uns ein Stück weit verabschieden von unserer gern gelebten Null-Fehler-Kultur“, so Strobl. Wenn Ideen entstünden, brauche es „Mut für die Umsetzung und Geld für den Marktgang“. Deshalb werde in Baden-Württemberg „eine neue Gründerzeit ausgerufen und junge Menschen zum Beispiel an unseren Hochschulen ermutigt, auch mal etwas zu wagen“. Den jungen Unternehmen fehle es oft in der entscheidenden Phase, „wenn das Produkt noch nicht ganz fertig ist und das Risiko für institutionelle Anleger noch zu hoch ist“ am Geld. Mit dem Landesprogramm „Startup BW Seed“ werde „diese Lücke geschlossen, und wir orientieren uns dabei an einem Land, in dem die Startup-Szene boomt: Israel.“ Mit dieser Unterstützung können junge Unternehmen diese kritische Phase überstehen und sich am Markt etablieren.
Im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie, die alle Ministerien umfasst und für die Strobl federführend zuständig ist, investiere die Landesregierung rund 40 Millionen Euro in das Leuchtturm-Projekt Cyber-Valley. Dort würden „in einem der größten Forschungskooperationen Europas die Forschungsaktivitäten von internationalen Schlüsselakteuren aus Wissenschaft und Industrie auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz gebündelt, neue Forschungsgruppen und Lehrstühle auf den Gebieten Maschinelles Lernen, Robotik und Computer Vision geschaffen und in einem neuen Zentrum in der Region Stuttgart-Tübingen zusammengeführt“.
Die Startup-Förderung spiele eine entscheidende Rolle: Cyber-Valley bilde durch eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft die ideale Umgebung zur Förderung von Startups und soll den Technologietransfer vorantreiben. Konkrete Zahlen nannte der CDU-Landesvorsitzende allerdings nicht. Auf ihrer Israel-Reise haben sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) kürzlich darüber informieren lassen, dass Gründer in Israel drei mal 500.000 Dollar für tragfähige Ideen bekommen. Und der Chef von der 1997 gegründeten „Wirtschaftsinitiative zur Förderung des Hightech-Standortes Baden-Württemberg“ Jürgen Jähnert, hat errechnet, dass die Landesregierung etwa 500 Millionen Euro ausgeben müsste, um eine ähnliche Anschubfinanzierung wie Israel zu leisten.
Strobl nannte als weiteres Ziel die Verwaltung 4.0, „einen modernen und bürgernahen Service, den jedermann von Zuhause oder von unterwegs ausnutzen kann“. Der Innenminister kritisierte in diesem Zusammenhang die Kommunen scharf, weil noch immer der Bürger aufs Amt müsse und nicht das Amt zum Bürger komme. Nach einem Zwischenruf seines Vorgängers Reinhold Gall (SPD) berichtete Strobl aus seiner Heimatstadt Heilbronn, in der er sich von der A-Straße in die B-Straße umgemeldet habe. „Da geht man auf Amt“, so der frühere langjährige Gemeinderat, „und zieht ein Kärtchen, und dann wartest Du eine, zwei oder drei Stunden.“ Niemand können sagen, wie lange dieses Warten dauere, „das ist die Realität auf den Rathäusern“.
Der SPD-Abgeordnete Rainer Hinderer, der ebenfalls aus Heilbronn kommt, hielt dem Innenminister daraufhin vor, dass es sehr wohl einen Online-Zugang zum Einwohnermeldeamt gebe, was Strobl allerdings nicht gelten lassen wollte: Die SPD könne die Notwendigkeiten „ja ignorieren, wir packen die Dinge an, weil wir wissen, da ist noch viel zu tun“.
In den Schulen des Landes muss nach den Worten des stellvertretenden Ministerpräsidenten „die Kreidezeit beendet werden“. Die Kinder kämen „mit ihren Smartphones in die Schule und müssen dann die Aufgaben des Lehrers von der Kreidetafel ins Heft abschreiben“. Das geht an der Lebensrealität vorbei.
Strobl lobte die Einführung neuen „Cyberwehr Baden-Württemberg“. Heute sei es selbstverständlich, „dass wir die Feuerwehr rufen, wenn es brennt“. Sein Ziel sei, „dass es schon bald genauso selbstverständlich ist, dass wir die Cyberwehr rufen, wenn man Opfer eines Cyberangriffs wurde“.
Grundsätzlicher Anspruch sei: „Der nächste Google kommt aus Baden-Württemberg.“ Das Land solle digitale Leitregion werden, die vorgelegte Strategie „bildet dabei die Richtschnur, an der wir künftig alle Aktivitäten ausrichten“. Es sei nicht geplant, „möglichst viele neue Projekte anzustoßen“. Es gehe um die „Summe der Einzelprojekte“. Insgesamt muss die grün-schwarze Koalition nach Strobls Vorstellungen in dieser Legislaturperiode eine Milliarde Euro in die Hand nehmen.
SPD und FDP warf Strobl vor, die heutige Aussprache wegen einer Stunde vertagt zu haben. Jetzt habe die Opposition statt 47 Stunden mehr als 1000 Stunden zur Vorbereitung darauf Ende September. Direkt griff Strobl den früheren Kultusminister Andreas Stoch (SPD) an, der von „der Verletzung des Rechts des Parlaments“ spreche, selber aber Fristen versäumt habe. Daraufhin musste er sich von Parlamentspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) vorhalten lassen, dass die Geschäftsordnung in dieser Legislaturperiode geändert wurde und die Verschiebung der Aussprache das Recht der Opposition sei.